Leitsatz (amtlich)
Die Kosten von Drogenscreenings im Rahmen von Bewährungsweisungen sind nach dem Veranlassungsprinzip zwar grundsätzlich vom Verurteilten zu tragen, weil die Screenings durch seine Straftaten erst erforderlich geworden sind. Die Zurechnung dieser Kosten aber findet ihre Grenze im verfassungsrechtlich verankerten Übermaßverbot, einfachrechtlich in der Zumutbarkeitsklausel des § 56c Abs. 1 Satz 2 StGB.
Bei fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit des Betroffenen können die Kosten subsidiär der Staatskasse auferlegt werden. Als Maßstab für die hierzu erforderliche Beurteilung der Unzumutbarkeit könnte auf die Regelungen analog der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) zurückgegriffen werden.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Entscheidung vom 18.03.2022; Aktenzeichen II StVK 16/21) |
LG Chemnitz (Entscheidung vom 18.03.2022; Aktenzeichen II StVK 15/21) |
LG Chemnitz (Entscheidung vom 18.03.2022; Aktenzeichen II StVK 45/22) |
Tenor
1. Die Beschwerdeverfahren 2 Ws 144/22, 2 Ws 151/22 und 2 Ws 153/22 werden zur gemeinsamen Beschlussfassung verbunden.
2. Auf die Beschwerden der Verurteilten werden die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Chemnitz vom 18. März 2022 aufgehoben.
3. Die Bewährungsbeschlüsse
a) des Amtsgerichts Chemnitz
- vom 21. Juni 2019 (Az.:16 Ls 850 Js 9230/16),
b) des Amtsgerichts Erfurt
- vom 05. Juli 2019 (Az.: 422 Ls 820 Js 15535/15) und
c) des Landgerichts Erfurt
- vom 10. Juni 2021 (Az.: 7 Ns 620 Js 38768/19)
in der Fassung ihrer jeweiligen Verlängerungsbeschlüsse werden in ihren Kontrollweisungen (Nummern 4d, 4e, bzw. nochmals 4e der betreffenden Beschlussformeln) wie folgt abgeändert und einheitlich gefasst:
a) Die Verurteilte hat sich viermal je Kalenderjahr, dabei in der Regel einmal in einem Vierteljahr, nach Aufforderung durch die Bewährungshilfe einer Betäubungsmittel-Abstinenzkontrolle (Drogenscreening) durch Untersuchung einer von ihr unter Aufsicht abzugebenden Urin- oder Haarprobe zu unterziehen, wobei sich die Untersuchung insbesondere auf die Substanzen
- Cannabinoide,
- Amphetamine,
- Cocain-Metabolit,
- Opiate,
- Benzodiazepine und
- Methadon-Metabolit
zu erstrecken hat.
Für die Untersuchung darf nur eine Person herangezogen werden, die nach DIN EN ISO/IEC 17025 für forensisch toxikologische Untersuchungen akkreditiert ist oder die Analyse in einem Labor mit einer solchen Akkreditierung vornehmen lässt.
b) Eine Untersuchung gilt einheitlich für alle drei Bewährungsfälle.
c) Die Untersuchung erfolgt auf Kosten der Verurteilten oder auf Kosten des Trägers ihrer Krankenversicherung, soweit dieser die Kosten übernimmt.
Auf Antrag der Verurteilten, der unverzüglich, spätestens binnen einer Woche, nachdem sie die Aufforderung zu einem Drogenscreening erhalten hat, bei der Strafvollstreckungskammer zu stellen ist, entscheidet diese unter Berücksichtigung der dann gegebenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Verurteilten darüber, ob die Staatskasse die Kosten der Untersuchung übernimmt.
3. Die Kosten der Beschwerden und die hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen der Rechtsmittelführerin hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin ist wegen diverser Drogendelikte wie folgt verurteilt worden:
1. Landgericht Erfurt, Urteil vom 18. April 2016 i.V.m. dem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 08. September 2015 (Az.: 5 Ns 820 Js 15535/15):
Hehlerei in vier Fällen und vorsätzliches Ausüben tatsächlicher Gewalt über eine verbotene Waffe: Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr drei Monaten,
2. Landgericht Chemnitz, Urteil vom 31. Januar 2017 (Az.: 7 Ns 850 Js 9230/16):
Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten, sowie
3. Landgericht Erfurt, Urteil vom 23. November 2020 (Az.: 7 Ns 620 Js 38768/19):
Handeltreiben mit und Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren neun Monaten.
Nach einer Teilverbüßung der letztgenannten Strafe in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz hatten die Staatsanwaltschaften Chemnitz und Erfurt als zuständige Vollstreckungsbehörden die (teilweise weitere) Strafvollstreckung mit Zustimmung der jeweiligen erstinstanzlichen Gerichte gemäß § 35 Abs. 1 BtMG zur Aufnahme einer Drogenabstinenztherapie zurückgestellt; mit Beschlüssen vom 05. Juli 2019 (Amtsgericht Erfurt - 422 Ls 820 Js 15535/15), vom 21. Juni 2019 (Amtsgericht Chemnitz - 16 Ls 850 Js 9230/16) und vom 10. Juni 2021 (Landgericht Erfurt - 7 Ns 620 Js 38768/19) wurden die nach Anrechnung der erfolgreichen Therapiezeit verbliebenen Strafreste gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung ausgesetzt. Die Weisungsanordnungen der Gerichte sahen jeweils u.a. vor, dass sich die Verurteilte zur Kontrolle ihrer weiteren Drogenabstinenz bis zu 4 x (Amts- und Landgericht Erfurt) bzw. bis zu 6 x (Amtsgericht Chemnitz) entsprechenden Untersuchungen von Urin- und/oder Haarproben zu unterziehen habe, deren Intervalle von der Bewä...