Leitsatz (amtlich)

1. Die Weitersendung eines per Satellit empfangenen Fernseh- oder Hörfunksignals durch ein Kabelnetz an die Empfangsgeräte der Bewohner einer Senioreneinrichtung mit vollstationärer Altenpflege stellt eine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG dar.

2. Diese Wiedergabe erfolgt für Personen allgemein, weil die - hier bis zu 188 - Bewohner der Senioreneinrichtung nicht Teil einer privaten Gruppe sind, sondern eine unbestimmte Gesamtheit potentieller Leistungsempfänger bilden, die für Zugang offen und nicht durch mehr als äußere Anlasse untereinander verbunden ist.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 05 O 2485/21)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 14.6.2022, Az. 5 O 2485/21, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 6.000 EUR

 

Gründe

A. Von Ausführungen zu den tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1, 543, 544 ZPO abgesehen, soweit sie nicht in der nachstehenden Begründung enthalten sind.

B. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht antragsgemäß die Beklagte bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen, die in der Anlage K 1a bezeichneten Rundfunkprogramme über das Kabelnetz in der von der Beklagten betrieben Einrichtung S... Senioren- und Pflegezentrum C... - ..., insbesondere von der Satellitenempfangsanlage zu den Anschlüssen in den Bewohner/- Pflegezimmern, weiterzusenden.

Die Beklagte, die mit der Berufung unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts die Abweisung der Klage weiterverfolgt, hat dadurch, dass sie mittels einer Verteileranlage Rundfunksendungen zu den in ihren 146 Einzelzimmern und 20 Doppelzimmern aufgestellten Radio- und Fernsehgeräten übertragen hat, in die von der Klägerin wahrgenommenen Rechte zur Kabelweitersendung von Urhebern und Leistungsschutzberechtigten gemäß § 20b UrhG eingegriffen und ist daher gemäß § 97 Abs. 1 UrhG zur Unterlassung verpflichtet. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

I. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Sie nimmt im Hinblick auf die in Anlage K 1a genannten 17 von der Beklagten weitergesendeten Programme die Unterlassungsansprüche wahr, die Sendeunternehmen im Falle einer widerrechtlichen Verletzung ihres ausschließlichen Rechts zur Kabelweitersendung zustehen. Ihre Aktivlegitimation ergibt sich dabei aus den Wahrnehmungsverträgen, die sie für die 17 Rundfunkprogramme vorgelegt hat (K 4/1 - 4/17).

II. Die streitgegenständliche Kabelweitersendung stellt entgegen der Auffassung der Beklagten eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 3, §§ 20, 20b Abs. 1 Satz 1 UrhG dar.

1. Das durch § 20b Abs. 1 UrhG eingeräumte Kabelweitersenderecht umfasst das Recht, ein gesendetes Werk im Rahmen eines zeitgleich, unverändert und vollständig weiter übertragenen Programms durch Kabelsysteme oder Mikrowellensysteme weiterzusenden (vgl. BGH, GRUR 2016, 697 Rn. 14 - Königshof). Bei diesem Zweitverwertungsrecht handelt es sich um einen Teil des Senderechts und damit um einen besonderen Fall der öffentlichen Wiedergabe, § 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UrhG. Eine Kabelweitersendung setzt deshalb eine öffentliche Wiedergabe voraus.

2. Überträgt der Betreiber einer Senioreneinrichtung von ihm empfangene Hör- und Fernsehfunksignale im Sinne von § 20b Abs. 1 UrhG zeitgleich, unverändert und vollständig durch Kabel wie hier an die angeschlossenen Empfangsgeräte in 146 Einzelzimmern und 20 Doppelzimmern weiter, stellt dies eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG dar.

a) Die öffentliche Wiedergabe ist für die Urheberrechte nach Art. 3 Abs. 1 Informationsgesellschaftsrichtlinie 2001/29/EG und für die Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller nach Art. 8 Vermiet- und Verleihrechts-RL (Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABl. 2006, L 376 v. 27.12.2006, 28) harmonisiert. Der danach nicht definierte Begriff der öffentlichen Wiedergabe ist deshalb unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen. Dabei kommt diesem Begriff in beiden Richtlinien, in denen er nicht erläutert wird, dieselbe Bedeutung zu, die nach denselben Kriterien zu beurteilen ist (EuGH, Urteil vom 31.5. 2016 - C-117/15 - GRUR 2016, 684 Rn. 33 - Reha-Training; vgl. BGH GRUR 2016, 171 Rn. 21 - Die Realität II). Demnach erfordert eine "öffentliche Wiedergabe" die individuelle Beurteilung sowohl der Handlung der Wiedergabe als auch der Öffentlichkeit de...

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