Leitsatz (amtlich)

1. Im Berufungsverfahren ist es dem klagenden Patienten abzuverlangen, sich medizinisch fundiert, d.h. regelmäßig unter Bezug auf ein Privatgutachten, medizinische Leitlinien oder andere Stimmen aus der medizinischen Literatur mit den von ihm beanstandeten Feststellungen eines erstinstanzlichen Gerichtsgutachtens, auf die sich das erstinstanzliche Gericht gestützt hat, auseinanderzusetzen.

2. Klärt der Arzt auch über eine ernsthafte Alternative zu der von ihm in Aussicht genommenen Behandlung auf, ist er nicht verpflichtet, zu diesem Gespräch einen Arzt derjenigen Fachrichtung hinzuziehen, in die diese Alternativbehandlung fällt.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 395/17)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht vor der Vollstreckung die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 40.000,00 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf bis zu 40.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Folgen einer im Hause der Beklagten am 27.1.2015 durchgeführten radikalen Prostatektomie auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für materielle Zukunftsschäden in Anspruch. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Hinweisbeschluss des Senates vom 04.11.2019 Bezug genommen.

Er beantragt,

das Urteil des Landgerichtes Leipzig vom 20. Mai 2019 - zugestellt am 28. Mai 2019 - abzuändern und

a.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld von nicht unter 35.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

b.) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm jeden weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger infolge der fehlerhaften Operation vom 28.01.2015 und deren fehlerhafter Nachsorge nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung noch entstehen wird, sofern dieser nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist und

c.) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten durch die Inanspruchnahme des Rechtsanwaltes Oliver Krause in Höhe der halben außergerichtlichen Verfahrensgebühren gemäß W 2300 RVG von 1,55 bei einem Streitwert von 35.000,00 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat mit Hinweisbeschluss vom 4.11.2019 angekündigt, die Berufung des Klägers nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Auf die mit Schriftsatz des Klägers vom 25.11.2019 erhobenen Bedenken hat der Senat den Sachverständigen Prof. Dr. S... ergänzend mündlich angehört. Es wird insofern auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.4.2020 Bezug genommen.

II. Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen. Dem Kläger steht kein Anspruch aus §§ 630aff. i.V.m. § 280 BGB, 823 Abs. 1 BGB zu.

1. Behandlungsfehler vor oder während der streitgegenständlichen Operation können den Ärzten der Beklagten nicht vorgeworfen werden. Entgegen der Behauptung des Klägers war die radikale Prostatektomie jedenfalls relativ indiziert und ist auch im Einklang mit den anwendbaren urologischen Behandlungsstandards durchgeführt worden. Es wird insofern auf den Hinweisbeschluss vom 4.11.2019 S. 5/6 zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die dort zur Substantiierungspflicht des Patienten in einem arzthaftungsrechtlichen Berufungsverfahren vertretene Auffassung des Senates steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Auch der Senat hat schon mehrfach ausgesprochen (vgl. Beschl. v. 12.12.2017 - 4 W 1113/17 - juris; Beschl. v. 01.11.2018 - 4 W 868/18 - juris), dass im Arzthaftungsprozess an die Substantiierungspflicht der Klagepartei nur maßvolle Anforderungen zu stellen sind und es ausreichend ist, wenn der Tatsachenvortrag nur in groben Zügen zum Ausdruck bringt, aus welchem Komplex ein Fehler abgeleitet wird und welcher Schaden daraus eingetreten sein soll. Vom Patienten sind angesichts des bestehenden Informationsgefälles zwischen Arzt und Patient regelmäßig keine genauen Kenntnisse der medizinischen Vorgänge zu erwarten. Dies gilt allerdings nicht uneingeschränkt für ein arzthaftungsrechtliches Berufungsverfahren, in dem - wie hier - die angefochtene Entscheidung auf einem gerichtlichen Sachverständigengutachten fußt. Die gebotene Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen setzt hier voraus, dass der Patient nicht lediglich sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt, sondern konkrete Anhaltspunkte benennt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsach...

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