Leitsatz (amtlich)
Die Wirksamkeit einer Neufestsetzung der Prämien nach § 203 Abs. 2 VVG setzt voraus, dass dem Versicherungsnehmer gemäß § 203 Abs. 5 VVG die "hierfür maßgeblichen Gründe" mitgeteilt werden. Dies erfordert eine auf die konkrete Prämienanpassung bezogene Begründung, in der anzugeben ist, bei welcher Rechnungsgrundlage i.S.v. § 203 Abs. 2 Satz 3 VVG (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeit) die Veränderung, welche die Prämienanpassung ausgelöst hat, eingetreten ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 16.12.2020, IV ZR 294/19).
Erfüllt die Mitteilung des Versicherers über eine Prämienerhöhung nicht die Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG, hat der Versicherungsnehmer im Hinblick auf etwaige bereicherungsrechtliche Rückzahlungsansprüche die für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist maßgebliche Kenntnis gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem er von der Änderungsmitteilung Kenntnis erlangt.
Ausnahmeweise kann eine Rechtsunkenntnis des Versicherungsnehmers betreffend die rechtlichen Anforderungen an die Mitteilung der "maßgeblichen Gründe" i.S.d. § 203 Abs. 5 VVG den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. Eine solche unsichere und zweifelhafte Rechtslage setzt aber einen ernsthaften Meinungsstreit in Rechtsprechung und Literatur über die entsprechende Rechtsfrage voraus, woran es bis in das Jahr 2017 hinein fehlte. Wird die Rechtslage aber erst unsicher, wenn die Verjährung bereits zu laufen begonnen hat, verlängert dies die Verjährungsfrist nicht.
Verfahrensgang
LG Görlitz (Aktenzeichen 1 O 245/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 26.03.2021, Aktenzeichen 1 O 245/20, aufgehoben und - unter Abweisung der Klage im Übrigen - wie folgt neu gefasst:
a) Es wird festgestellt, dass in der zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... die Erhöhung des Monatsbeitrags zum 01.01.2015 in Höhe von 18,38 EUR im Tarif BSB 30 unwirksam ist und die Klägerin bezogen auf den Beitragszeitraum vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2017 nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet ist.
b) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 220,56 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 17.08.2020 zu zahlen.
c) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin diejenigen Nutzungen herauszugeben,
- die sie aus den im Jahr 2017 gezahlten Beitragsanteilen, die auf die unter Ziffer 1. a) aufgeführte Beitragserhöhung entfallen, im Zeitraum bis zum 16.08.2020 gezogen hat, und
- die sie aus den vom 01.01.2015 bis 31.12.2016 gezahlten Beitragsanteilen, die auf die unter Ziffer 1. a) aufgeführte Beitragserhöhung entfallen, im Zeitraum seit dem 01.01.2017 gezogen hat.
d) Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin gegenüber verpflichtet ist, die nach Ziffer 1. c) herauszugebenden Nutzungen, soweit diese von der Beklagten im Zeitraum bis zum 02.06.2020 gezogen worden sind, ab dem 17.08.2020 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz hat die Klägerin zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 6.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin macht die Unwirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung zu den Zeitpunkten 01.01.2015 und 01.01.2018 geltend und fordert Rückzahlung der entsprechenden Erhöhungsanteile der Beiträge.
Die Parteien sind durch einen privaten Krankenversicherungsvertrag unter der Versicherungsscheinnummer ... verbunden. Im Rahmen dieses Vertrages war die Klägerin bei der Beklagten u.a. im Tarif BSB 30 versichert.
Zum 01.01.2015 erhöhte die Beklagte den von der Klägerin geschuldeten monatlichen Beitrag im Tarif BSB 30 von 118,91 EUR auf 137,92 EUR, mithin um monatlich 18,38 EUR (Anschreiben und Nachtrag zum Versicherungsschein jeweils aus November 2014 nebst Erläuterung zu den Änderungsgründen, vorgelegt mit der Anlage BLD 5, Bl. 126 ff.).
Darüber hinaus erhöhte die Beklagte den Beitrag der Klägerin im Tarif BSB 30 zum 01.01.2018 von 137,29 EUR auf 199,36 EUR monatlich, mithin um monatlich 62,07 EUR (vgl. Anschreiben sowie Nachtrag zum Versicherungsschein aus November 2017 nebst Erläuterung zu den Änderungsgründen, vorgelegt mit der Anlage BLD 5, Bl. 112 ff.).
In dem dazu gehörigen Anschreiben der Beklagten an die Klägerin aus dem November 2017 heißt es auszugsweise:
Sehr geehrte Frau J.,
heute schreiben wir Ihnen zu Ihrer Kranken-/Pflegeversicherung, da sich Änderungen ergeben.
Ein Nachtrag zum Versicherungsschein liegt bei: Jeweils hinter den betroffenen Tarifen steht rechts in der Sp...