Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Behandlung eines Kindes ist der "off label use" eines Schmerzmedikaments, das nur für Erwachsene zugelassen ist, zulässig, wenn in den einschlägigen medizinischen Fachkreisen Konsens über dessen voraussichtlichen Nutzen besteht.
2. Auch bei einer unzureichenden Aufklärung über schwerwiegende Nebenwirkungen eines Medikaments trägt der Patient die Darlegungs- und Beweislast, dass der von ihm behauptete Körperschaden auf der Einnahme beruht.
3. Treten infolge der Behandlung mit einem Schmerzmedikament kurzzeitige Nebenwirkungen auf, so kann es auch bei unzureichender Aufklärung gerechtfertigt sein, hierfür einen Anspruch auf Schmerzensgeld zu versagen.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 3749/13) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Leipzig vom 18.01.2016 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.287,87 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt materiellen Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden wegen der vermeintlich fehlerhaften Behandlung einer Sportverletzung, die er sich im Alter von 13 Jahren am 18.02.2010 bei einem Sturz vom Barren im Schulsportunterricht zugezogen hatte. Die notfallmäßige Erstbehandlung fand im G...-Klinikum in Zeitz statt, wo eine Röntgenuntersuchung durchgeführt und am 23.02.2010 ein MRT der Lendenwirbelsäule in der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Dr. R., S., S. und H. gefertigt wurde. Dort wurde eine angeborene Spondylodese/Spondylolisthesis im Bereich des fünften Lendenwirbelkörpers, aber keine frische knöcherne Läsion, insbesondere kein unfallbedingter Bandscheibenvorfall festgestellt. Ab dem 25.02.2010 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im Klinikum der Beklagten zu 1; bei seiner Aufnahme legte er das MRT vom 23.2.2010 vor. Bis zu seiner Entlassung am 12.03.2010 wurde er mit periradikulären Infiltrationen (im Folgenden: PRT), jeweils am 06. und 08.03.2010 und verschiedenen Schmerzmitteln konservativ behandelt. Am 17.3.2010 stellte sich der Kläger sodann zunächst in der Privatsprechstunde des Beklagten zu 4. vor, gefolgt von einem stationären Aufenthalt vom 19. bis 25.03.2010 in der Neurochirurgischen Abteilung der Beklagten zu 3., wo am 22.03.2010 ein weiteres MRT gefertigt wurde, das als Hauptbefund ebenfalls die bereits zuvor diagnostizierte Spondylolisthese nebst einer floriden Radikulopathie ergab. Eine Einengung der Neuroforamina beidseits wurde bereits festgestellt, jedoch keine Bandscheibenvorwölbung oder Hermiation. Infolgedessen wurde auch hier der Kläger konservativ weiterbehandelt. Ab dem 25.3.2010 schloss sich eine stationäre Reha-Maßnahme in B... K... an, unter der sich jedoch keine Besserung zeigte. Der Kläger stellte sich deshalb am 22.04.2010 in der Praxis des Dr. F. in München vor, der nach Fertigung eines CTs der Lendenwirbelsäule einen Bandscheibenvorfall und eine Nervenwurzelkompression im Segment L5/S1 diagnostizierte und am 28.4.2010 operierte. Ein von den Eltern des Klägers eingeleitetes Schlichtungsverfahren vor der sächsischen Landesärztekammer und vor der Schlichtungsstelle H...... ist erfolglos geblieben.
Der Kläger hat behauptet, dieser Bandscheibenvorfall habe bereits bei der Vorstellung im Klinikum der Beklagten vorgelegen, sei von den dortigen Behandlern aber ebenso wie von den Ärzten der Beklagten zu 3) und dem Beklagten zu 4) übersehen worden; dies stelle einen Verstoß gegen den Behandlungsstandard dar. Die stattdessen eingeleitete konservative Behandlung sei nicht geboten gewesen. Weil allein eine sofortige operative Versorgung indiziert gewesen sei, seien die PRT vom 06. und 08.03.2010 überflüssig gewesen, obendrein sei er am 06.03.2010 an der falschen Seite, nämlich rechts anstatt links, infiltriert worden. Die durch die Beklagte zu 2. im Hause der Beklagten zu 1. geleitete Schmerzmedikation sei in zu hohen Dosen und mit nicht für Kinder zugelassenen Medikamenten verabreicht worden, obendrein sei hierüber nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Infolge der verzögerten operativen Versorgung des Bandscheibenvorfalls und infolge der durch die Beklagte zu 2. veranlassten behandlungsfehlerhaften Schmerzmedikation seien bei ihm irreparable Folgeschäden aufgetreten.
Nach Einholung eines neurochirurgischen Fachgutachtens hat das Landgericht die Klage mit Ausnahme eines geringfügigen Schmerzensgeldes für die mit falschem Zugangsweg gesetzte PRT vom 06.03.2010 abgewiesen. Die Auswertung des MRT vom 23.2.2010 im Klinikum der Beklagten zu 1) sei zutreffend, weitere Diag...