Leitsatz (amtlich)
1. Auch in der Kaskoversicherung trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast für die Beseitigung von Vorschäden, sofern diese nicht eindeutig von den geltend gemachten Unfallschäden abgegrenzt werden können.
2. Optisch unauffällige Vorschäden (hier Lackkratzer) rechtfertigen des Schluss vom Schadensbild auf eine Kenntnis des Versicherungsnehmers und die Annahme einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung auch dann nicht, wen ihre Beseitigung mit erheblichen Kosten verbunden ist.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 1393/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 25.08.2020 - 3 O 1393/19 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 5.060,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.02.2019 und weiter vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 571,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.07.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen der Kläger 30 % und die Beklagte 70 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 7.073,14 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Abfassung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist zum Teil begründet.
A. Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus dem bestehenden Vollkasko-Versicherungsvertrag zum 12.12.2017 nach dem Tarif "Top" für den Pkw ... ein Anspruch auf Zahlung von 5.060,91 EUR zu.
1. Ein Unfall nach Ziffer A.2.3.2 der AKB der Beklagten lag am 17.12.2018 vor. Hiernach muss ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis eingetreten sein. Für den Nachweis eines Unfalls hat der Versicherungsnehmer grundsätzlich den Vollbeweis zu erbringen, ohne dass ihm Beweiserleichterungen zu Gute kämen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 28.09.2016 - 9 U 4/16 - juris). Vorliegend ist dem Kläger dieser Beweis aufgrund seiner plausiblen und mit den Feststellungen des Sachverständigen S ... in Einklang stehenden Aussage zur Überzeugung des Senats im Sinne des § 286 ZPO gelungen. Der vom Kläger vor dem Landgericht geschilderte Unfallverlauf steht in Übereinstimmung mit seinen Angaben in der Schadensanzeige vom 10.01.2019. Hiernach habe er bei der Ausfahrt aus dem Hof auf die ...straße unter dem Auto Geräusche gehört, was ihn irritiert und zu einer Lenkbewegung nach rechts in Richtung auf die Grundstücksumfassung veranlasst habe. Bei dieser Lenkbewegung habe er den Pfosten und die darunterliegende Betonkante touchiert. Als er den Kontakt bemerkt habe, habe er unmittelbar nach links gelenkt, dies habe sich in Bruchteilen von Sekunden abgespielt. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige S ... hat die Plausibilität dieser Unfallschilderung anhand des vorgefundenen Schadensbildes bestätigt. Der vom Kläger geschilderte Unfallablauf sei dahingehend plausibel rekonstruierbar, dass sich das Fahrzeug in einer nach rechts gerichteten Fahrbewegung im Sinne eines Abbiegevorgangs auf die ...straße befunden haben müsse. Aus dem Schadensbild ergebe sich, dass ein Erstkontakt am Außenspiegel eingetreten und spätestens mit Eintreten der Kontaktsituation am Übergang beider Fahrzeugtüren eine Gegenlenkbewegung nach links eingeleitet worden sei. Das rechte Hinterrad könne dabei gegen die vorstehende Ecke des Betonsockels gestoßen sein. Diese Unfallrekonstruktion stimmt mit den Schilderungen des Klägers in seiner Schadensmeldung und vor dem Landgericht überein.
Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte angesichts dessen darauf, dass den Schilderungen des Klägers nicht geglaubt werden könne, weil dieser nicht als redlich anzusehen sei. Auf die Redlichkeit des Versicherungsnehmers kommt es an, wenn er für einen versicherten Schaden den Beweis des äußeren Bildes nur durch seine Anhörung führen kann. Fehlen andere Beweismittel, kann der Tatrichter im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben des Versicherungsnehmers bei dessen Anhörung gemäß § 141 ZPO folgen und darauf seine Überzeugung gründen (vgl. BGH, Urteil vom 19.02.1997 - IV ZR 12/96 - juris). Im vorliegenden Fall sind aber andere Beweismittel vorhanden. Das beschädigte Fahrzeug steht zur Verfügung und der vom Landgericht beauftragte Sachverständige konnte den Unfallhergang und die Unfallbedingtheit des überwiegenden Teils der Schäden rekonstruieren.
2. Dem Kläger ist auch der Beweis dafür gelungen, dass durch den Unfall vom 17.12.2018 an seinem Fahrzeug Schäden in Höhe von 5.360,91 EUR netto entstanden sind. Der Sachverständige S ... hat in diesem Umfang die Schäden auf das Unfallereignis zurückgeführt. Die massiven Kratzspuren mit dem Lackabrieb sowie der zusätzliche Substanzabrieb im hinteren Bereich der rechten vorderen Fahrzeugtür un...