Leitsatz (amtlich)
1. Ob die Nacktdarstellung einer Person der Zeitgeschichte auf einem Gemälde deren Intimsphäre verletzt, ist auf Grund einer Abwägung mit den entgegenstehenden Grundrechten des Künstlers zu ermitteln.
2. Sie kann zulässig sein, wenn das Bildnis einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage darstellt, den Abgebildeten nicht zum bloßen Objekt herabwürdigt und keine unwahren Tatsachenbehauptungen enthält.
Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 03.12.2009; Aktenzeichen 3 O 2782/09 EV) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des LG Dresden vom 3.12.2009 - 3 O 2782/09 EV - aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfügungsverfahrens trägt die Verfügungsklägerin.
3. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 20.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540a Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung der Verfügungsbeklagten (künftig: Beklagte) hat in der Sache Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Abweisung des auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Antrages. Zwar liegt die für eine einstweilige Verfügung erforderliche Eilbedürftigkeit vor, weil die Beklagte mit den im Verfügungsverfahren zulässigen Beweismitteln nicht nachweisen konnte, dass die Verfügungsklägerin (künftig: Klägerin) von dem streitgegenständlichen Gemälde und dessen Verbreitung im Internet bereits im Juli 2009 Kenntnis hatte. Ein Verfügungsanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB (analog) i.V.m. §§ 22, 23 KUG besteht jedoch nicht.
1. Das dort vorausgesetzte Recht am eigenen Bild ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dessen Verletzung einen Unterlassungsanspruch begründet. Nach § 22 KUG dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einverständnis veröffentlicht werden. Ein Bildnis in diesem Sinne stellt auch das streitgegenständliche Gemälde dar. Dem Bildnisschutz unterliegen sämtliche Darstellungsformen, d.h. neben Fotografien auch die Darstellung von Personen auf Gemälden, wie sie hier gegeben ist (Wenzel/von Strobel-Albeg Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 8.20 m.w.N.). Eine Verbreitung ist hier durch die Ausstellung des Gemäldes und die Einstellung auf der von der Beklagten betriebenen Homepage erfolgt, wobei der Senat ebenso wie das LG davon ausgeht, dass der durchschnittliche und mit den lokalen Verhältnissen vertraute Betrachter in dem Gemälde unschwer ein Bildnis der Klägerin erkennen wird, zumal diese im Bildtitel, der auch auf der o.a. Homepage einsehbar ist, namentlich erwähnt wird.
2. Das streitgegenständliche Gemälde ist aber ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte, dessen Verbreitung und Schaustellung kein berechtigtes Interesse der Klägerin verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG) und daher nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG auch ohne ihre Einwilligung verbreitet und präsentiert werden darf. Ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte umfasst nicht nur Vorgänge von historischpolitischer Bedeutung, sondern liegt immer dann vor, wenn es einen Bezug zu Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse aufweist (st. Rspr., vgl. nur BGH NJW 2009, 3032; NJW 2009, 754). Ein derartiges Interesse besteht freilich nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (statt aller BGH, Urt. v. 9.2.2010 - VI ZR 243/08 - juris). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGH, a.a.O.) und des BVerfG (AfP 2008, 163) erfordert die Anwendung des § 23 Abs. 1 KUG dabei eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten nach
Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und den entgegenstehenden Grundrechten, vorliegend mithin der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG. Diese Abwägung braucht nicht dem § 23 Abs. 2 KUG vorbehalten zu werden, sondern kann auch schon im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erfolgen (vgl. BGH NJW 1985, 1617 -Nacktfoto). Der Beurteilung ist ein normativer Maßstab zugrunde zu legen, der den widerstreitenden Interessen ausreichend Rechnung trägt (BGHZ 178, 275 ff.; 178, 213 ff.; BGH GRUR 2009, 86 ff.).
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin scheidet eine solche Abwägung hier nicht bereits deswegen aus, weil sie auf dem streitgegenständlichen Bildnis nackt dargestellt wird. Allerdings berührt die Verbreitung von Nacktaufnahmen grundsätzlich die Intimsphäre des Abgebildeten. Diese umfasst den letzten, unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit und schafft die Distanz zum Mitmenschen, die Voraussetzung und Kennzeichnung jeder Kultur ist (Wenzel-Burkhardt, a.a.O., 5.47 m.w.N.). Trotz einer erheblichen Veränderung in der Wahrnehmung von Sexualität und Nacktheit in den vergangenen Jahrzehnten, die dazu geführt hat, dass heute die Zurschaustellung nackter Personen in nur noch wenigen Fäl...