Leitsatz (amtlich)
1. Voreinstellungen eines sozialen Netzwerks sind nach dem Grundsatz der "Datenschutzfreundlichkeit" so auszugestalten, dass nur die Verarbeitung standardmäßig ausgeführt wird, die unbedingt erforderlich ist, um den vorgesehenen rechtmäßigen Zweck zu erreichen; eine Suchbarkeitsvoreinstellung aus "alle" steht hiermit nicht im Einklang (Festhaltung Senat, Urteile vom 5. Dezember 2023, 4 U 709/23 und 4 U 1094/23).
2. Ein "Kontrollverlust" reicht allein für einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 SDGVO nicht aus, wenn die hierauf abzielende Befürchtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht glaubhaft ist; für die eine solche Befürchtung tragenden Umstände, liegt die Beweislast beim Anspruchsteller.
3. Liegt der Datenschutzverstoß (hier "Scraping") bereits mehrere Jahre zurück, reicht die bloß theoretische Möglichkeit, dass es in Zukunft zu einem Schaden kommen könnte, für ein Feststellungsinteresse nicht aus. Auch ein Rechtsschutzinteresse für einen weitergehenden Unterlassungsanspruch besteht dann nicht.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 3 O 929/22) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichtes Dresden vom 16.1.2024 - 3 O 929/22 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vollstreckbar.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klagepartei nimmt die Beklagte als Betreiberin des sozialen Netzwerkes Facebook wegen behaupteter Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung in der Zeit von 2018 bis 2019 in Zusammenhang mit einem "Scraping Vorfall" auf immaterielle Entschädigung, Feststellung, Unterlassung und Auskunft in Anspruch.
Die Beklagte betreibt in der Europäischen Union das soziale Online-Netzwerk Facebook und bietet Dienste an, die für private Nutzer kostenlos sind. Das Geschäftsmodell der Beklagten basiert auf der Finanzierung durch Online-Werbung, die auf den individuellen Nutzer des sozialen Netzwerks insbesondere nach Maßgabe seines Konsumverhaltens, seiner Interessen, seiner Kaufkraft und seiner Lebenssituation zugeschnitten ist. Die Facebook-Plattform ermöglicht es Nutzern, persönliche Profile zu erstellen und diese mit Freunden oder der Öffentlichkeit zu teilen und sich auszutauschen. Die Klagepartei ist Nutzerin des von der Beklagten betriebenen sozialen Netzwerkes Facebook, auf das sie nach Registrierung auf der Website oder über Apps für Mobiltelefone und Tablets zugreifen kann. Mit der Registrierung wird ein Nutzungsvertrag abgeschlossen. Hierbei muss den Nutzungsbedingungen zugestimmt werden und der Nutzer wird auf die Datenschutz- und Cookierichtlinien der Beklagten hingewiesen. Hierbei sind die Angabe des Vor- und Nachnamens, des Geschlechtes und eine generierte Nutzer-ID zwingende Voraussetzung für die Registrierung. Diese Daten sind stets öffentlich. Bei der Angabe von weiteren fakultativen Daten (z. B. Geburtsdatum, Wohnort, E-Mail-Adresse und Telefonnummer) können in der Privatsphäreneinstellung unterschiedliche Einstellungen gewählt werden. Der Nutzer kann entscheiden, ob diese Daten für alle, also "öffentlich" oder für "Freunde" oder "Freunde von Freunden" einsehbar sind. Bei der Zielgruppenauswahl wird festgelegt, wer einzelne Informationen im Facebook-Profil des Nutzers sehen, bei der Suchbarkeitseinstellung, wer das Profil eines Nutzers z. B. anhand einer Telefonnummer finden kann. Die Standardeinstellung für die Suchbarkeit nach der Telefonnummer war während des relevanten Zeitraumes "alle". Das Auffinden eines Nutzerprofils auf der Facebook-Plattform mittels einer Telefonnummer fand u. a. mit dem von der Beklagten angebotenen Contact Import Tool (CIT) statt. Das CIT ermöglichte es Nutzern, ihre Kontakte von ihren Mobilgeräten auf der Facebook - Plattform zu finden und mit ihnen in Verbindung zu treten.
Die Klägerin ist seit ca. 2014 bei Facebook registriert. Die Suchbarkeitseinstellung bezüglich der Telefonnummer ist seit 10.9.2017 auf "alle" gestellt (Anlage B17). Die Telefonnummer war auf dem Facebook-Profil nicht öffentlich einsehbar.
Im Zeitraum von Januar 2018 bis September 2019 kam es auf der Facebook-Plattform zu einem sogenannten Scraping, also dem massenhaften, automatisierten Sammeln persönlicher Daten von Facebook-Nutzern. Dritte nutzten hierfür das Contact Import Tool und luden einen großen Satz von Telefonnummern bzw. Ziffernkombinationen hoch, um festzustellen, ob diese mit Facebook-Nutzern übereinstimmen. Sie konnten so den generierten Telefonnummern ein bestimmtes Nutzerprofil zuordnen und die öffentlich einsehbaren Daten - das heißt die stets zwingend öffentlichen Daten und die vom Nutzer öffentlich eingestellten Daten - einsehen. Dies bemerkte die Beklagte für die Facebook Plattform im Laufe des Jahres 2018 und deaktivierte das CIT im Oktober 2018. Als es auch bei dem Messenger zum Scraping kam, wurde es a...