Leitsatz (amtlich)
Heimträger sind verpflichtet, zum Schutz von sturzgefährdeten Heimbewohnern Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Hierbei sind allerdings das Selbstbestimmungsrecht und die Würde des Heimbewohers zu beachten.
Bei der Intensität der mit Heimbewohnern zur Abwendung von Sturzgefahren zu führenden Beratungsgespräche kommt den Pflegekräften ein Beurteilungsspielraum zu.
Normenkette
HeimG a.F. § 4e
Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 26.03.2004; Aktenzeichen 14 O 3013/03) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des LG Dresden vom 26.3.2004 - 14 O 3013/03 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren fallen der Klägerin zur Last.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe erbringt. Sicherheit kann jeweils durch unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines in der Europäischen Union zugelassenen Kreditinstituts oder Kreditversicherers geleistet werden.
Streitwert der Berufung: 86.067,04 EUR.
Gründe
A. Die Klägerin, ein gesetzlicher Krankenversicherer, begehrt vom Beklagten als Träger eines Pflegeheimes die Erstattung jener Krankenbehandlungskosten, die durch einen in den späten Abendstunden des 9.3.2000 zugetragenen Sturz ihres Mitglieds I.M. (künftig: die Versicherte) ausgelöst wurden.
Die im Jahre 1915 geborene Versicherte war nach näherer Maßgabe des Heimvertrages vom 4.2.1999 als Leistungsempfängerin der sozialen Pflegeversicherung vollstationär in dem vom Beklagten gem. § 1 Abs. 1 HeimG (in der damals geltenden Fassung) unterhaltenen Heim A. in D. untergebracht. Anlass hierfür war, dass in einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Klägerin vom 10.12.1996 bei der Versicherten u.a. zeitweise schwere Schwindelzustände bei Kleinhirnatrophie mit Stürzen diagnostiziert worden waren.
Nach Aufnahme in das Heim des Beklagten ist die Versicherte jeweils zur Nachtzeit am 28.1.2000, am 31.1.2000 und am 24.2.2000 in ihrem Zimmer zu Fall gekommen. Nach dem Sturz vom 31.1.2000 wurde die Versicherte wegen Schmerzen im Oberarm ärztlich untersucht, wobei sich aber der Verdacht einer Fraktur nicht bestätigte.
Am 9.3.2000 stürzte die Versicherte gegen 22:30 Uhr in ihrem Zimmer abermals. Etwa eine halbe Stunde zuvor hatte die für den Beklagten tätigen Pflegekraft W. das Zimmer der Versicherten aufgesucht, die zu diesem Zeitpunkt im Begriff war, das Bett zu verlassen. Nachdem die Pflegekraft das Bett neu gerichtet hatte, legte sich die Versicherte wieder zum Schlafen. Die Pflegekraft löschte hierauf das Licht und verließ das Zimmer. Kurz danach hörte Frau W. Hilferufe aus dem Zimmer der Versicherten und fand diese neben dem Bett liegend vor.
Bei diesem Sturz zog sich die Versicherte eine Fraktur des Halswirbelkörpers C1/C2 mit Lähmung aller Extremitäten und eine rispiratorale Insuffizienz zu, die später zu einer Lungenentzündung führte. Die Versicherte wurde unmittelbar nach dem Schadensereignis in das Städtische Klinikum D. verbracht, in dem sie an den Unfallfolgen am 7.6.2000 verstarb.
Die Klägerin hat - wie inzwischen unstreitig ist - für die sturzbedingte stationäre Behandlung der Versicherten Aufwendungen von 167.985,54 DM erbracht. Unter Einschluss weiterer Kosten für Krankentransport u.a. beliefen sich ihre gesamten Versicherungsleistungen, abzgl. der Eigenanteile, auf 168.332,50 DM (= 86.067,04 EUR).
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe die sich aus dem Heimvertrag ergebenden Pflichten ggü. der Versicherten verletzt. Der hieraus folgende Schadensersatzanspruch sei in Höhe der kongruenten Versicherungsleistungen von 86.067,04 EUR gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X auf sie als gesetzlicher Krankenversicherer übergegangen. Das Fehlverhalten des Beklagten hat die Klägerin darin gesehen, dass trotz der bekannten Gefahren wirkungsvolle Maßnahmen zur Sturzprophylaxe unterblieben seien. So wären etwa ein Hochziehen des seitlichen Bettgitters, die Verwendung einer Sensormatratze, ein Lichtschrankensystem, ein Verstellen der Betthöhe, eine Veränderung des Bodenbelages im Zimmer oder das Anlegen einer Hüftschutzhose in Betracht gekommen. Anlass für derartige Maßnahmen hätte umso mehr bestanden, als die Versicherte die Angewohnheit gehabt habe, beim Aufstehen, insb. bei nächtlichen Toilettengängen, nicht die ihr angeratene Hilfe des Pflegepersonals in Anspruch zu nehmen.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 86.067,04 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 %-Punkten über dem jeweiligen Basis-Zinssatz seit dem 12.1.2002 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet, das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Klägerin vom 10.12.1996 nicht gekannt zu haben. Unabhängig hiervon sei den Fürsorgepflichten damit genügt worden, dass der Versicherten immer wieder ein Hochziehen des seitlichen Bettgitters und ein Herbei...