Leitsatz (amtlich)
1. Der Wartepflichtige darf nicht blindlings darauf vertrauen, dass der rechts blinkende Vorfahrtsberechtigte auch tatsächlich nach rechts abbiegt, so dass der Wartepflichtige gefahrlos in die Vorfahrtstraße einfahren kann. Vielmehr bedarf es zumindest eines weiteren Anzeichens, das aus Sicht des Wartepflichtigen diesen Schluss zulässt, sei es dass der Vorfahrtberechtigte sich bereits deutlich nach rechts eingeordnet hat oder er seine Geschwindigkeit (ohne sonstigen erkennbaren Anlass) deutlich reduziert.
2. Auch wenn das Fahrverhalten des Vorfahrtberechtigten in diesem Sinn missverständlich ist, ist gem. § 17 StVG gleichwohl dem Wartepflichtigen regelmäßig ein höherer Haftungsanteil zuzuordnen (im zu entscheidenden Fall: 70:30).
Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 12.11.2013; Aktenzeichen 1 O 1967/13) |
Tenor
I. Auf die wechselseitigen Berufungen der Parteien wird das Endurteil des LG Dresden vom 12.11.2013 unter jeweiliger Zurückweisung der weiter gehenden Rechtsmittel wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.254,64 EUR zzgl. Zinsen hierauf i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.6.2013 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 171,71 EUR zzgl. Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.6.2013 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 60 % und die Beklagte 40 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gebührenstreitwert wird auf bis zu 6.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die wechselseitig erhobenen Berufungen der Parteien sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO). Sie sind - teilweise - begründet, weshalb das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern war.
1. Von der Darstellung des Sach- und Streitstands wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
2. Das LG ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass nach der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung, der auch der Senat folgt (vgl. ausführlich Beschl. v. 24.4.2014 - 7 U 1501/13), der Wartepflichtige nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt (OLG Saarbrücken, a.a.O.; OLG Hamm, Urt. v. 11.3.2003 - 9 U 169/02, NJW-RR 2003, 975; OLG Celle, Urt. v. 22.2.1996 - 5 U 71/95, juris; KG, Urt. v. 13.1.1992 - 12 U 5054/90, juris; OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.5.1992 - Ss 130/92, NJW 1993, 149; OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.3.1992 - 1 U 99/91, OLGR 1992, 189; OLG Hamm, Beschl v. 22.3.1991 - 2 Ss OWi 230/91, juris; KG, Urt. v. 29.9.1989 - 12 U 4646/88, juris; OLG Saarbrücken, Urt. v. 2.10.1981 - 3 U 109/80, juris; OLG Hamm, Beschl. v. 13.11.1980 - 3 Ss OWi 2478/80, juris; ausdrücklich offengelassen von OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.6.1976 - 12 U 135/75, juris; ebenso jetzt wohl auch: OLG München, Urt. v. 6.9.2013 - 10 U 2336/13, SVR 2014, 10); der Wartepflichtige darf also niemals "blindlings" (so OLG Koblenz, Urt. v. 3.4.1995 - 12 U 761/94, juris) auf das Abbiegen des Blinkenden vertrauen. Anders als das LG (wohl) angenommen hat, ist nicht erforderlich, dass über das Blinken nach rechts hinaus kumulativ neben einer eindeutigen Geschwindigkeitsreduktion, die auf ein Abbiegen hindeutet, zusätzlich ein Einordnen nach rechts gegeben sein muss. Dies wird zwar - erst recht - den Schluss rechtfertigen, dass der Blinkende ein Abbiegen plant, doch ist lediglich erforderlich, dass neben dem Blinken zumindest ein weiteres deutliches Anzeichen dafür gegeben ist, dass der Vorfahrtberechtigte tatsächlich vor dem Wartepflichtigen abbiegt.
Gemessen daran war der Behauptung der Beklagten, der Kläger habe neben einem eindeutigen Blinken nach rechts auch seine Geschwindigkeit maßgeblich reduziert, so dass bei dem hinter dem Kläger fahrenden Zeugen P. der Eindruck entstanden sei, der Vorausfahrende würde nun nach rechts abbiegen, im Wege der Beweisaufnahme nachzugehen. Zwar haben die Beklagten keine exakten (d.h. bezifferten) Angaben zur behaupteten "deutlichen" Geschwindigkeitsverminderung gemacht, doch genügt dies - regelmäßig - für einen dem Beweis zugänglichen substantiierten Sachvortrag, zumal der Wartepflichtige andernfalls genötigt würde, vermeintlich genau bezifferte Angaben zur Geschwindigkeitsreduktion ins Blaue hinein aufzustellen. Erforderlich, aber auch genügend ist in diesen Fällen, wenn der Wartepflichtige darlegt und und unter Beweis stellt, dass der Vorfahrtberechtigte seine Geschwindigkeit so deutlich verringerte,...