Leitsatz (amtlich)

1. Greifbare Anhaltspunkte, dass ein selbständiger Rechtsanwalt infolge eines Schadensereignisses eine erwartbare Gewinnsteigerung nicht erzielen konnte, sind nicht hinreichend dargetan, wenn sich aus den Gewinnermittlungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren nach dem Schadensereignis ein weitgehend konstantes Einkommen ergibt. Die Anzahl angenommener Mandate oder durchgeführter Mandantengespräche ist für eine Schadensschätzung regelmäßig untauglich. Wegen des gebotenen Rückgriffs auf die konkrete Einkommenssituation scheidet auch eine Berechnung des Erwerbsschadens anhand statistischer Durchschnittswerte aus.

2. Kann wegen der Eigenart einer Erkrankung der Eintritt künftiger Beeinträchtigungen jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen werden, besteht das Feststellungsinteresse für einen immateriellen Vorbehalt.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Urteil vom 04.08.2017; Aktenzeichen 07 O 3875/15)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Leipzig vom 04.08.2017 - Az. 7 O 3875/15 - in Ziffer 2. wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle zukünftigen materiellen, sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem auf Grund der unterlassenen Befundung vom 02.08.2011 durch den Beklagten entstehen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 31.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt vom Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld, Ersatz materieller Schäden sowie die Feststellung der Einstandspflicht für künftige materielle und unvorhersehbare immaterielle Schäden wegen einer unstreitig vom Beklagten unterlassenen Borreliosetestung und nachfolgend unterlassener Borreliosebehandlung.

Erstmals stellte der Kläger sich wegen seit Tagen bestehender Kopf- und Nackenschmerzen am 02.08.2011 beim Beklagten vor, wobei er das Augenmerk des Beklagten von sich aus auf eine mögliche Borrelioseinfektion infolge eines Zeckenbisses lenkte. Einen entsprechenden Borreliosetest nahm der Beklagte gleichwohl nicht vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des nachfolgenden Behandlungsablaufes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Der Kläger behauptet, bei sofortiger Durchführung des aus seiner Sicht pflichtwidrig unterlassenen Borreliosetests wäre seine Erkrankung nicht nur sofort festgestellt und therapiert worden, sondern auch binnen zwei Wochen folgenlos ausgeheilt. Stattdessen habe er monatelang an erheblichen Beschwerden gelitten und habe auch heute noch an Dauerfolgen wie beispielsweise einer fortbestehenden Missempfindung in der rechten Gesichtshälfte und andauernden Zukunftsängsten wegen eines befürchteten Ausbruchs der Borreliosekrankheit zu leiden. Er macht daher Schmerzensgeld geltend, und verlangt für die von ihm behaupteten erheblichen Ausfallzeiten Ersatz für behaupteten Erwerbsschaden, hilfsweise für einen behaupteten Haushaltsführungsschaden.

Das Landgericht hat - sachverständig beraten - den Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 7000,- EUR und den auf materielle Zukunftsschäden bezogenen Feststellungsantrag zugesprochen Die Feststellung der Einstandspflicht für künftige immaterielle Schäden hat es wegen der Einheitlichkeit der Schmerzensgeldbemessung abgelehnt, materielle Schäden habe der Kläger nicht hinreichend substantiiert, insbesondere reiche sein Vorbringen zu einem behaupteten Erwerbsschaden nicht aus. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit der Berufung verlangt der Kläger unter Reduzierung seiner erstinstanzlichen Forderungen noch weiteres Schmerzensgeld, in ursprünglichem Umfang Ersatz materieller Schäden und eine Erweiterung der ausgesprochenen Feststellung auf künftige unvorhersehbare immaterielle Schäden. Er rügt, das Landgericht habe nicht sämtliche schmerzensgeldrelevanten Faktoren gewürdigt, insbesondere die ihm angesichts des Prozessverhaltens des Beklagten zugute kommende Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes sowie potentielle Dauerfolgen und psychische Beeinträchtigungen nicht angemessen berücksichtigt. Durch das Übergehen seines Vortrages zum Erwerbs- und Haushaltsführungsschaden sowie die Unterlassung ausdrücklicher Hinweise habe das Landgericht sein rechtliches Gehör verletzt. In rechtsfehlerhafter Weise habe es zudem die nach § 287 ZPO mögliche und gebotene Schätzung seines materiellen Schadens unterlassen. Die ihm vom Landgericht auferlegte Kostenquote berücksichtige nicht, dass ...

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