Leitsatz (amtlich)
1. Macht der Motorenhersteller eine unzulässige Abschalteinrichtung öffentlich bekannt, kann sich der Erwerber, der ein betroffenes Fahrzeug nach diesem Zeitpunkt erwirbt, nicht mehr auf die Vermutung stützen, er hätte das Fahrzeug ohne die Abschalteinrichtung nicht zu diesem Preis erworben.
2. Für die Schätzung des Restwerts bei der Berechnung des Differenzschadens kann auf Internetportale zurückgegriffen werden.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 4 O 735/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 15.07.2022 - 4 O 735/21 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 6.155,46 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die zum vorsteuerabzugberechtige Klägerin erwarb bei einem Audi-Händler am 07.02.2019 einen Pkw Audi A6 Avant, 3,0 TDI, 160 kW, Erstzulassung 19.10.2015 mit einer Laufleistung von 58.000 km zum Preis von 24.621,85 EUR netto. Das Fahrzeug ist mit einem EA 897, Euro6 (Gen2Evo V6 Turbo Diesel-Motor) ausgestattet. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeuges und des streitgegenständlichen Motors, der unstreitig mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen ist. Für das Fahrzeug besteht ein verbindlicher Rückruf des KBA vom 04.06.2018 (Anlage B15). Das Softwareupdate der Beklagten hat das KBA am 12.11.2018 freigegeben. Es wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug am 07.01.2019 aufgespielt. Die Laufleistung des Fahrzeuges betrug am 25.07.2023 114.899 Kilometer.
Die Klägerin hat behauptet, in dem in Rede stehenden Fahrzeug kämen unterschiedliche unzulässige Abschaltstrategien (sog. Motoraufheizfunktion) zum Einsatz, die für das Einhalten der Grenzwerte auf dem Prüfstand sorgen. Auf dem Prüfstand werde zudem das Zusetzen von AdBlue erhöht. Im Zusammenhang mit dem Temperaturmanagement des Motors kämen verschiedene Strategien zum Einsatz, die für das Einhalten der Grenzwerte auf dem Prüfstand sorgen würden. Darüber hinaus sei ein unzulässiges Thermofenster verbaut, dass insbesondere ab einer Temperatur von unter 17 Grad die Abgasrückführung reduziere. Die Grenzwerte würden im Realbetrieb nicht eingehalten werden, was die Messungen der DUH bestätigten. Durch die Rückrufe und den Dieselskandal seien die Preise für Dieselfahrzeuge eingebrochen, was Zeitungsartikel aus März und September 2018 bestätigten. Es liege eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor. Die Vorstände der Beklagten hätten Kenntnis von den unzulässigen Abschaltstrategien gehabt. Dies werde auch durch die Angaben des ehemaligen Autoingenieurs der Beklagten und Zeugen G...... P...... belegt. Es drohe der Entzug der Zulassung und ein Fahrverbot.
Die Beklagte hat behauptet, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung mehr vor, denn unstreitig sei das Softwareupdate vor dem Erwerbszeitpunkt aufgespielt worden. Das KBA habe bestätigt, dass die angeordnete Maßnahme nicht zu negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug führe und die Grenzwerte dadurch eingehalten werden. In dem Fahrzeug komme kein unzulässiges Thermofenster zum Einsatz. Unzutreffend sei, dass es während des Prüfzyklus zu einer Erhöhung der AdBlueEinspritzung gegenüber der Fahrsituation außerhalb des Zustandes komme. Vielmehr hänge der Verbrauch von AdBlue von der individuellen Fahrweise, der Betriebstemperatur sowie der Umgebungstemperatur ab. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten liege nicht vor, denn die Beklagte habe nach dem Rückruf durch das KBA einen Verkaufsstopp an ihre Händler erlassen bis zum Aufspielen des Softwareupdates. Es liege eine Verhaltensänderung der Beklagten vor. Im Übrigen sei über den Rückruf in der Presse in ausreichendem Umfang berichtet worden, weshalb schon keine Täuschung vorliege. Das KBA habe in mehreren Parallelverfahren bestätigt, dass keine prüfstandsabhängige Abschalteinrichtung nach Aufspielen des Updates vorhanden sei. Das Update betreffe die Arbeitsweise des SCR-Katalysators, wenn der Harnstoff nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 Kilometern ausreiche. In diesem Fall werde dem Fahrer eine Warnmeldung angezeigt. Wenn kein AdBlue mehr vorhanden sei, könne der Motor nicht gestartet werden. Im Übrigen sei kein Schaden vorhanden.
Das Landgericht Chemnitz hat die Klage mit Urteil vom 15.07.2022 abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie meint, es komme auf die Frage der Sittenwidrigkeit und des Vorsatzes nach Unionsrecht nicht mehr entscheidend an. Die Nutzungsentschädigung könne nicht ausgehend vom vollen Kaufpreis bestimmt werden. Es müsse ein Abzug wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgenommen werden. Im Übrigen sei das Landgericht fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine sittenwidrige Schädigung nicht vorliege. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum liege auch nur dann vor, wenn der Irrende bei Beachtung der im Verkehr erforderli...