Leitsatz (amtlich)
1. Der Versicherungsnehmer einer privaten Krankenversicherung kann die materielle Unwirksamkeit einer Beitragserhöhung auch allein mit der Behauptung angreifen, die von dem Versicherer zu treffende Ermessensentscheidung über die Verwendung von Limitierungsmitteln sei fehlerhaft.
2. Die Beweislast für die materielle Richtigkeit der Beitragserhöhung träge der Versicherer; auf der ersten Stufe der Darlegungslast genügt er ihr mit der Vorlage der an den Treuhänder ausgereichten Unterlagen, eine laienverständliche Erläuterung der Berechnung schuldet er nicht.
3. Es ist dann Sache des Versicherungsnehmers, ggf. unter Beiziehung eines Privatgutachters, seine Einwendungen zu konkretisieren.
(Festhaltung Senat, Urteil vom 09.01.2024 - 4 U 1138/23)
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 2237/22) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichtes Leipzig vom 17.08.2023 - 3 O 2237/22 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 9.886,18 EUR festgesetzt. Der Gegenstandswert für das landgerichtliche Verfahren wird auf 8.732,46 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten sich um die Rechtmäßigkeit der Beitragserhöhungen der Beklagten im Rahmen der Krankenversicherung der Klägerin und des mitversicherten V. P... jeweils zum Beginn der Jahre 2018, 2020, 2021 und 2022.
Die Klägerin hat behauptet, die Beitragsanpassungen seien formell unwirksam, da es an einer ordnungsgemäßen Begründung fehle. Die Beitragserhöhung sei aufgrund gesunkener Leistungsausgaben nicht möglich. Darüber hinaus seien die Prämienanpassungen auch in materieller Hinsicht zu beanstanden, da die durchgeführten Prüfverfahren fehlerhaft gewesen seien. Dem Treuhänder seien nicht alle Unterlagen für die Prüfung der Mittel für die Rückstellung der Beitragsrückerstattungen vorgelegen. Die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen für die Betragsanpassungen sei zu bestreiten. Die Darlegungs- und Beweislast trage die Beklagte. Die grundsätzliche Richtigkeit der Kalkulation werde nicht bestritten. Die Klägerseite bestreite ausschließlich, dass dem Treuhänder die Überprüfung der Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 155 Abs. 2 VAG zum Zeitpunkt seiner Einverständniserklärung mit der Limitierungsmittelverwendung überhaupt möglich gewesen sei.
Die Beklagte meint, die Mitteilungen zur Beitragsanpassungen entsprächen den gesetzlichen Anforderungen. Die Beitragserhöhungen seien auch materiell wirksam. Das Bestreiten erfolge ins Blaue hinein in allen Verfahren nach denselben Textbausteinen und sei unbeachtlich. Die Beurteilung der materiellen Anpassungsvoraussetzungen könne nur durch ein versicherungsmathematisches Gutachten erfolgen. Im Übrigen sei die Frage ob und in welcher Höhe Mittel aus der Rückstellung für die Beitragsrückerstattung zu verwenden seien, eine unternehmerische Frage.
Die Beklagte hat die Treuhänderunterlagen als Anlage B 25 eingereicht. Das Landgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung, den mit der Klägerin Rechtsanwältin S... aus der Kanzlei P... Rechtsanwaltsgesellschaft mbH wahrgenommen hat, eine Geheimhaltungsanordnung erlassen. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 28.07.2023 - auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - abgewiesen.
Hiergegen richtete sich die Berufung der Klägerin. Sie beanstandet, dass das Landgericht zu Unrecht die formelle Wirksamkeit der Beitragsanpassung zum 01.01.2018 angenommen hat.
Das Gericht verkenne, dass der Vortrag der Klägerseite sich insoweit, als er die Richtigkeit der Limitierungsmaßnahmen in Abrede stelle, auch auf die Beitragskalkulation und somit auf die Höhe der Beitragsanpassung erstrecke. Was von Seiten der Klagepartei nicht bestritten werde, sei lediglich die strikt durch Formeln der KVAV vorgegebenen mathematischen Berechnungen. Die Limitierungsmittelvergabe könne erst nach der Prämienkalkulation erfolgen. Für sie existiere kein vergleichbares mathematisches Formelwerk. Das Landgericht habe die Beweislast der Beklagten verkannt.
Die Klägerin beantragt:
1) Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer 000000000C unwirksam sind:
a) in den Tarifen für C... V... aa) im Tarif ELBonus-U die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 45,40 EUR bb) im Tarif Komp Zahn-U die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 2,13 EUR cc) im Tarif ELBonus-U die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 63,87 EUR dd) im Tarif ELBonus-U die Erhöhung zum 01.01.2021 in Höhe von 19,19 EUR
b) in den Tarifen für V... V... aa) im Tarif ELBonus-UA di...