Leitsatz (amtlich)
Versicherungsbedingungen, die den Versicherungsnehmer in der Kaskoversicherung verpflichten, den Unfallort nicht zu verlassen ohne die "gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten", begrenzen auch die versicherungsrechtliche Obliegenheit auf die in § 142 Abs. 1 StGB genannten Pflichten. Eine Pflicht, den Versicherer entsprechende § 142 Abs. 2 StGB nachträglich unverzüglich zu benachrichtigen, lässt sich hieraus zumindest dann nicht ableiten, wenn in den AKB zugleich eine Pflicht enthalten ist, jedes Schadensereignis innerhalb einer Woche anzuzeigen.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 3137/16) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 22.02.2018 - 2 O 3137/16 - wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.050,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.10.2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von den entstandenen außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 546,69 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.01.2017 freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtstreites I. und II. Instanz tragen die Beklagte zu 7/10 und der Kläger zu 3/10.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahren wird auf 7.200,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. (Von der Aufnahme des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.)
II. Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet.
A. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 5.050,00 EUR nebst Zinsen und außergerichtlicher Anwaltskosten aus der bestehenden Vollkaskoversicherung zu.
1. a) Der Senat hält es nach § 286 ZPO für erwiesen, dass der Kläger mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug in den frühen Morgenstunden des 1.4.2015 auf der BAB xx in Höhe K..., Fahrtrichtung L... eine Mittelleitplanke beschädigt und damit einen Versicherungsfall gem. Ziffer A. 2.1.1 der dem Vertrag zugrunde liegenden AKB 2015 ausgelöst hat. Dass der Kläger hierfür keine Zeugen benannt hat, steht einer solchen Würdigung, anders als die Beklagte meint, nicht entgegen. Aus der im Wege des Urkundsbeweises vom Senat beigezogenen staatsanwaltlichen Ermittlungsakte ergeben sich vielmehr zahlreiche Indizien, die in der Gesamtschau mit einer Gewissheit, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie endgültig auszuschließen, den behaupteten Verkehrsunfall nahelegen: Belegt ist hiernach, dass am Nachmittag des 01.04.2015 auf der BAB xx Richtung L... bei Kilometer 41.230 eine Beschädigung der Mittelleitplanke festgestellt wurde, was sich mit den Angaben des Klägers zum Unfallort deckt. Der von der Beklagten beauftragte Sachverständige S. hat in seinem Gutachten vom 13.04.2015 (Anlage K5) überdies bestätigt, dass die Schäden am Fahrzeug des Klägers durch einen Aufprall auf eine Autobahnmitteilleitplanke erklärt werden können und dass an dem Transporter des Klägers hierdurch ein wirtschaftlicher Totalschaden im Sinne der AKB entstanden ist. Ausdrücklich hat er einen Anstoß gegen die vordere linke Fahrzeugecke und eine streifende Beschädigung an der linken Fahrzeugseite festgestellt. Bei dieser Sachlage kann letztlich dahinstehen, ob sich der Unfall genauso zugetragen hat wie vom Kläger behauptet, weil jedenfalls feststeht, dass er auf ein Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Eintrittspflicht der Kaskoversicherung reicht dies aus.
b) Für die arglistige Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit gemäß Ziffer E. 2.1 und E. 1.1.3 AKB 2015 trägt die Beklagte die Beweislast (vgl. statt aller Prölss/Martin-Armbrüster, VVG, 30. Aufl., § 28 Rn. 168; BGH, Beschluss vom 12.12.2007 - IV ZR 40/06; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 10.02.2016 - 5 U 75/14, Rn. 56). Diesen Beweis hat sie nicht geführt.
aa) Nach E.1.1.3, 1. Unterpunkt AKB 2015 ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, den Unfallort nicht zu verlassen, "ohne die gesetzlich erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen und die dabei gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten (Unfallflucht)". Entgegen der Auffassung der Beklagten geht diese Aufklärungsobliegenheit nicht über die Verwirklichung des Tatbestandes des § 142 Abs. 1 StGB hinaus. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 09.05.2018 - IV ZR 23/17 - juris). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhan...