Leitsatz (amtlich)
1. Trotz teilweiser Bezifferbarkeit des Schadens im Zeitpunkt der Klageerhebung ist das Feststellungsinteresse zu bejahen. Ebenso wenig wie ein Kläger gehalten ist, von einer zulässigen Feststellungsklage zur Leistungsklage überzugehen, wenn im Verlauf des Prozesses die Bezifferung des Schadens möglich wäre, ist er gezwungen, den vor der Klageerhebung liegenden Schaden zu beziffern, wenn die künftige Entwicklung noch nicht abzusehen ist und die Schadenhöhe ohnehin notfalls in einem weiteren Prozess geklärt werden muss.
2. Zum Umfang der Aufklärung bei einer Bandscheibenoperation (perkutane Nukleotomie), wenn die Operation nur relativ indiziert ist.
3. Anforderungen an die Substanziierungspflichten im Arzthaftungsprozess.
Normenkette
BGB §§ 823, 847
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 6 O 3609/00) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Dresden vom 29.9.2000 (6 O 3609/00) wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.225,84 Euro (= 20.000 DM) nebst 4 % Zinsen seit 25.10.1999 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden materiellen Schaden, der ihr aufgrund der Behandlung im … in der Zeit vom 5.1. bis 6.6.1995 entstanden ist, und jeden materiellen und immateriellen Schaden, der ihr aufgrund dieser Behandlung künftig entstehen wird, zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des ersten Rechtszugs hat die Beklagte zu tragen. Von den Kosten des zweiten Rechtszugs haben die Klägerin 25 % und die Beklagte 75 % zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Streitwert des Berufungsverfahrens: 20.451,68 Euro (= 40.000 DM).
Tatbestand
Die Klägerin macht im Wege von Leistungs- und Feststellungsklage Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen ärztlicher Behandlungsfehler und unterlassener Aufklärung gegen die Beklagte geltend.
Die Beklagte ist Trägerin des …, in das die Klägerin am 8.12.1994 zur stationären Behandlung eines vertebragenen, radikulären, lumbalen Schmerzsyndroms S 1 links aufgenommen wurde, nachdem sie seit Oktober 1994 unter Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein gelitten und fünf Tage vor Krankenhausaufnahme ein Kribbeln im linken Fußrand verspürt hatte. Die Ärzte im Klinikum … diagnostizierten einen Bandscheibenprolaps L 5/S 1 und behandelten zunächst konservativ. Unter dem 4.1.1995 ist in den Krankenunterlagen vermerkt, dass – nach Ausschöpfung der konservativen Therapie – mit der Klägerin ein Gespräch über eine Bandscheibenoperation (perkutane Nukleotomie L 5/S 1) sowie die Komplikationen (Infektion, Nerven-, Gefäßläsion, persistierendes Beschwerdebild) geführt worden und diese mit dem Eingriff einverstanden gewesen sei. Der besprochene Eingriff wurde am 5.1.1995 durchgeführt. Ab 8.1.1995 klagte die Klägerin über erhebliche Beschwerden, die eine Infektion vermuten ließen, die mit Antibiotika therapiert wurde. Nachweisbar war die Spondylodiszitis (Entzündung des Bandscheibenraums und der angrenzenden Wirbelknochen) erst am 21. postoperativen Tag mittels eines MRT. Des Weiteren wurde eine Spondylitis (Wirbelentzündung) diagnostiziert. Zur Ruhigstellung des entzündlich veränderten Wirbelkörpers sowie zur Entnahme von Knochenmaterial, um dieses mikrobiologisch zu untersuchen, wurde der Klägerin am 1.2.1995 eine weitere Operation an der Wirbelsäule und die Anlegung eines Fixateur externe vorgeschlagen. Nach Aufklärung über die Risiken (in den Krankenunterlagen dokumentiert: Gefäß- und Nervenverletzungen) und nach Einwilligung wurde sie noch am gleichen Tag operiert. Nach wenigen Tagen wurde sie mobilisiert und am 21.2.1995 in die ambulante Behandlung entlassen. Am 6.6.1995 wurde der Fixateur abgenommen. Während des gesamten Zeitraums wurde die antibiotische Therapie fortgesetzt.
Die Klägerin hat vorgetragen:
Die Operation am 5.1.1995 sei nicht indiziert, die konservative Therapie nicht ausgeschöpft gewesen; die erforderlichen Befunde seien vor der Entscheidung zur Operation nicht eingeholt worden. Schonendere Therapien wie eine Chemonukleolyse oder die Laserdiskotomie hätten angewandt werden müssen. Vor den Operationen sei sie nicht auf Lähmungen, insb. auch nicht auf die Möglichkeit einer Querschnittslähmung, und die Gefahr einer Spondylodiszitis hingewiesen worden. Die Klägerin hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung vor der ersten Operation für die Fortsetzung der konservativen Therapie entschieden.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 20.000 DM, zzgl. 5,5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen bereits entstandenen und künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der im Zusammenhang mit ...