Leitsatz (amtlich)
1. Mit Rücksicht auf die Persönlichkeit des Betroffenen ist die Presse vor einer identifizierenden Berichterstattung verpflichtet, mit besonderer Sorgfalt abzuwägen, ob dem Informationsinteresse nicht auch ohne Namensnennung genügt werden kann. Dies bedarf einer umfassenden Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen.
2. Der Kauf der Immobilie zu privaten Wohnzwecken betrifft regelmäßig die Privatsphäre des Erwerbers, nicht jedoch deren Kernbereich.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 2138/21) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 17.12.2021 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagten tragen auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Verfügungskläger zu 1. (im Folgenden: Kläger) ist Polizeidirektor bei der sächsischen Polizei. In der Vergangenheit hat er auch als Pressesprecher für die Polizeidirektion ... gearbeitet und war Polizeichef in .... Die Verfügungsklägerin zu 2. ist Nephrologin und betreibt eine Dialysepraxis. Die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) bzw. im Verfahren 4 U 178/22 die Beklagte zu 1) veröffentlichte am 21.09.2021 unter der Überschrift "Korruptionsskandal in sächsischem Bauamt: Wurde der Bauplan zugunsten des Polizeichefs manipuliert?" den als Anlage ASt. 1 vorliegenden Artikel. Erstinstanzlich haben beide Kläger die Wortberichterstattung, der Kläger zu 1) darüber hinaus die ihn identifizierende Bildberichterstattung angegriffen und die Auffassung vertreten, der Artikel erwecke den falschen Eindruck, die Kläger hätten Geld dafür geboten, dass im Bauamt der Gemeinde ... ein Bebauungsplan manipuliert werden sollte, so dass sie einen Hausbau in einem wegen Denkmalschutz nicht bebaubaren Bereich realisieren können. Sie wenden sich dagegen, dass sie in dem Artikel in persönlichkeitsrechtsverletzender Weise identifizierend benannt würden, obwohl sie mit den Tatvorwürfen nichts zu tun hätten. Da kein Vorgang von besonderem öffentlichen Interesse vorliege, kein schwerer Strafvorwurf im Raume stehe, zudem den Klägern kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorgeworfen werde, sei die negativ stigmatisierende Berichterstattung in erheblichem Maße persönlichkeitsrechtsverletzend und rechtswidrig. Mit Beschluss vom 29.9.2021 hat das Landgericht die begehrte einstweilige Verfügung erlassen. Auf den Widerspruch der Beklagten hat es mit dem angefochtenen Urteil die einstweilige Verfügung bestätigt.
Im Verfahren 4 U 178/22 ist darüber hinaus auch noch ein am 24.09.2021 unter der Überschrift "Geständnis im Korruptionsskandal. So wurde der Bauplan zugunsten eines Polizeichefs manipuliert" (Anlage AG2) vom Beklagten zu 2) verfasster und von der Beklagten zu 1) auf www...de veröffentlichter Artikel streitgegenständlich. Darin wird über den ersten Verhandlungstag im Prozess gegen den Bauamtsleiter berichtet.
Mit der Berufung Verfahren verfolgen die Beklagten ihren auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag nur insoweit weiter, als er sich gegen die Wortberichterstattung wendet. Das Verbot der Bildberichterstattung haben sie durch Abschlusserklärung vom 15.10.2021 anerkannt. Sie sind der Auffassung, der Verbotstenor sei zu weit gefasst, weil er jegliche Berichterstattung über den Kläger zu 1) im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen den Bauamtsleiter der Stadt ... untersage. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei auch die konkrete Berichterstattung nicht an den Grundsätzen über die Verdachtsberichterstattung zu messen, weil in dem Artikel kein Verdacht gegen den Kläger zu 1) geäußert werde. Vielmehr werde allein darauf abgestellt, dass er durch das Verhalten des Bauamtsleiters in der Sache begünstigt werden sollte, die Ermittlungen gegen ihn aber eingestellt worden seien. Auch sei die Stellungnahme des Klägers in dem Artikel wiedergegeben worden. Da es in dem Artikel auch nicht um den Erwerb des Grundstücks durch die Kläger, sondern um einen Bestechungsvorgang gegangen sei, sei der Kläger zu 1) auch lediglich in seiner Sozialsphäre als hochrangiger Polizeibeamter, der wiederholt im Licht der Öffentlichkeit gestanden habe, betroffen. Die Beteiligung des Klägers zu 1) werfe in diesem Zusammenhang Fragen von erheblichem Interesse auf, die das Landgericht in der Abwägung nicht berücksichtigt habe. Dass dem Kläger zu 1) kein Fehlverhalten vorgeworfen werden könne, sei insofern ebenso unerheblich wie die Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Eine Gefährdung des Klägers durch die streitgegenständliche Berichterstattung habe dieser entgegen der Annahme des Landgerichts nicht aufzeigen können.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Das Landgericht ist im Ergebnis zutreffend von einem Unterlassungsanspruch der Kläger aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB Art. 2 Abs. 1 GG wegen einer unzulässigen identifizierenden Berichterstattung ausgegangen. Der Kläger zu 1) wird in de...