Leitsatz (amtlich)
1. Liegt der Datenschutzverstoß (hier "Scraping") bereits mehrere Jahre zurück und sind die Schaltflächen, die diesen ermöglicht haben, zwischenzeitlich geändert worden, reicht die bloß theoretische Möglichkeit, dass es in Zukunft zu einem Schaden kommen könnte, für ein Feststellungsinteresse nicht aus. Auch ein Rechtsschutzinteresse für einen weitergehenden Unterlassungsanspruch besteht dann nicht.
2. Für die erstmalige außergerichtlich Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs gegenüber einem sozialen Netzwerk ist die anwaltliche Beauftragung nicht erforderlich, außergerichtliche Kosten für dessen Inanspruchnahme sind daher nicht erstattungsfähig.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 1 O 1144/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Chemnitz vom 10.07.2023, Az 1 O 1144/23 im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.500,00 EUR festgesetzt.
(Ziffer 1: 500,00 EUR, Zif. 2: 1.000,00 EUR)
Gründe
I. Die Klagepartei nimmt die Beklagte als Betreiberin des Sozialen Netzwerkes Facebook wegen behaupteter Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung in der Zeit von 2018 bis 2019 im Zusammenhang mit einem Scraping-Vorfall in Anspruch. Erstinstanzlich hat die Klägerin zuletzt noch die Zahlung immateriellen Schadensersatzes (mindestens 2.000,00 EUR), Feststellung der Einstandspflicht für künftige materielle Schäden, weiteren immateriellen Schadensersatz für die Nichterteilung einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden außergerichtlichen Datenauskunft in Höhe von mindestens 1.000,00 EUR, die Erteilung einer Auskunft über weitere durch Scraping erlangte Daten betreffend die Klägerin, die Unterlassung des Zugänglichmachens der Telefonnummer der Klägerin über das Contakt import tool (CIT) und die Unterlassung der Weitergabe sonstiger personenbezogener Daten der Klägerseite ohne Einwilligung oder Erfüllung sonstiger gesetzlicher Erlaubnistatbestände sowie den Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verlangt.
Das Landgericht hat die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten zum Ersatz künftiger materieller Schäden und die Verpflichtung der Beklagten zur Unterlassung des Zugänglichmachens von Daten der Klägerin über das CIT für begründet gehalten und die Beklagte bei Klageabweisung im Übrigen entsprechend verurteilt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung das Ziel vollumfänglicher Klageabweisung weiter. Sie rügt das Urteil wie folgt:
Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Beklagte gegen einzelne Vorschriften der DS-GVO verstoßen habe. Die vom Landgericht - unzutreffend - angenommenen Verstöße seien zudem nicht vom Schutzbereich des Art. 82 DS-GVO erfasst. Das Landgericht habe verkannt, dass sowohl der Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich künftiger materieller Schäden als auch der zugesprochene Unterlassungsanspruch mangels Feststellungsinteresse beziehungsweise Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LG Chemnitz vom 10.07.2023 - 1 O 1144/22 - im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt im Umfang der Klagestattgabe das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat weder auf der Grundlage von Art. 82 DS-GVO noch auf der Grundlage anderer Vorschriften einen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Ersatzpflicht künftiger materieller Schäden (2.) und die begehrte Unterlassung (3.). Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten stehen ihr ebenfalls nicht zu (4.).
1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist gemäß Art. 18 Abs. 1 EuGVVO sowie gemäß Art. 79 Abs. 2, Satz 2 DSGVO gegeben, denn der Kläger hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Der sachliche, räumliche und zeitliche Anwendungsbereich der am 25.05.2018 in Kraft getretenen Datenschutzgrundverordnung ist eröffnet.
2. Der Klagepartei steht kein Anspruch auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, alle künftigen (materiellen) Schäden zu erstatten, zu. Der Antrag ist bereits unzulässig, weil ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, § 256 ZPO.
Grundsätzlich hängt die Zulässigkeit einer Feststellungsklage bei reinen Vermögensschäden von der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzung zurückzuführenden Schadenseintritt...