Leitsatz (amtlich)
1. Das in Haftsachen geltende Gebot der Verfahrensbeschleunigung ist verletzt, wenn der Auftrag zur Begutachtung des Angeklagten erst mehr als drei Monate nach seiner Verhaftung erteilt wird, obwohl sich die Erforderlichkeit der Begutachtung bereits damals aufgedrängt hatte.
2. Das Beschleunigungsgebot ist aber auch dann verletzt, wenn mit dem Sachverständigen keine Fristabsprache getroffen und daneben noch dessen viermonatige Untätigkeit hingenommen wurde, bis die Staatsanwaltschaft zielgerichtet tätig wurde.
Verfahrensgang
AG Mönchengladbach (Entscheidung vom 06.02.2009; Aktenzeichen 58 Gs-601 Js 2370/08-97/09) |
Tenor
1. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 6. Februar 2009 (58 Gs-601 Js 2370/08-97/09), der an die Stelle des Haftbefehls vom 4. September 2008 getreten ist, wird aufgehoben.
2. Der Angeschuldigte ist in dieser Sache sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Gründe
Der Angeschuldigte befindet sich seit dem 5. September 2008 in dieser Sache in Untersuchungshaft. Die unter dem 3. Juni 2009 verfasste Anklage wirft ihm schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (fünf Fälle, davon in drei Fällen Versuch) und sexuellen Missbrauch von Kindern (vierzehn Fälle) vor.
Die erneute Haftprüfung nach § 122 Abs. 4 StPO führt zur Aufhebung des Haftbefehls, weil die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen der Vollzug der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus aufrechterhalten werden darf, nicht vorliegen.
Der Angeschuldigte ist zwar nach wie vor der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Auch der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht fort. Gleichwohl unterliegt der Haftbefehl der Aufhebung, da das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist.
1. Die Freiheit der Person nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Daher darf eine Freiheitsentziehung nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten. Zu solchen Belangen, gegenüber denen der Freiheitsanspruch eines Beschuldigten unter Umständen zurücktreten muss, gehören die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafrechtspflege. Ein vertretbarer Ausgleich des Widerstreits dieser für den Rechtsstaat wichtigen Grundsätze lässt sich im Bereich des Rechts der Untersuchungshaft nur erreichen, wenn den Freiheitsbeschränkungen, die vom Standpunkt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege aus erforderlich sind, ständig der Freiheitsanspruch des Angeschuldigten als Korrektiv entgegengehalten wird. Dies bedeutet, dass zwischen beiden Belangen abzuwägen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer auch unabhängig von der Schwere des Tatvorwurfs und der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt, und zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößern wird (vgl. BVerfG, StV 2006, 87).
Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem im Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Entscheidung über die Tatvorwürfe mit der gebotenen Schnelligkeit herbeizuführen. Kommt es aufgrund vermeidbarer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung, so steht dies der Aufrechterhaltung des Haftbefehls entgegen (vgl. BVerfG, StV 2006, 87). Beachtlich sein können hier unter Umständen bereits in Wochen zu bemessende kleinere Verfahrensverzögerungen (vgl. BVerfG, NJW 2006, 1336).
2. Nach den vorgenannten Maßstäben kann der Haftbefehl vom 6. Februar 2009 keinen Bestand haben, da es im Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Begutachtung des Angeschuldigten zu Verfahrensverzögerungen gekommen ist, die mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht mehr in Einklang stehen, und zudem die Beurteilung des weiteren Verfahrensablaufs derzeit völlig unsicher ist.
a) Eine Verzögerung des Verfahrens ergab sich hier bereits aus der verspäteten Beauftragung des Sachverständigen Dr. Deis. Die Staatsanwaltschaft hat den Sachverständigen erst mit Verfügung vom 23. Dezember 2008 beauftragt, ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeschuldigten zu erstatten. Diese Auftragsvergabe war verspätet, da sich schon zum Zeitpunkt der Festnahme des Angeschuldigten am 5. September 2008 die Erforderlichkeit eines Schuldfähigkeitsgutachtens aufdrängte (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. März 1993 - HEs 13/93). So lässt sich den polizeilichen Berichten vom 14. Dezember 2007 und 3. September 2008 entnehmen, dass der Angeschuldigte bereits wiederholt im Bereich der Sexualdelikte (darunter auch sexueller Missbrauch von Kindern) in Erscheinung getreten ist und zwei seiner Brüder wegen sexuellen Missbrauchs von Kin...