Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Absicht bzw. groben Nachlässigkeit im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

Das Erfordernis eines absichtlichen oder grob nachlässigen Handelns als Voraussetzung für die Aufhebung der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezieht sich auch auf die unterlassene Mitteilung wesentlicher Verbesserungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des/der Beteiligten. Die Annahme grober Fahrlässigkeit oder Nachlässigkeit setzt voraus, dass der Empfänger von Prozesskosten- oder Verfahrenskostenhilfe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und das unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss.

Von lediglich einfacher Nachlässigkeit ist auszugehen, wenn der Empfänger von Verfahrenskostenhilfe bei rund zwei Dutzend gerichtlichen Verfahren gegen seinen geschiedenen Ehepartner, in denen fast ausnahmslos Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, in der überwiegenden Mehrzahl der Verfahren die Verbesserung wirtschaftlichen Verhältnisse angezeigt und lediglich im Einzelfall eine solche Mitteilung vergessen hat.

 

Normenkette

FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

AG Moers (Aktenzeichen 487 F 37/18)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgericht Moers vom 14.04.2021 aufgehoben.

Gerichtsgebühren fallen nicht an. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich.

 

Gründe

I) Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14.04.2021 (vgl. Bl. 154 VKH-Heft) hat das Amtsgericht Moers - Familiengericht - durch den Rechtspfleger die der Beschwerdeführerin durch Beschluss vom 28.02.2018 bewilligte Verfahrenskostenhilfe gemäß §§ 76 FamFG, §§ 124 Abs. 1 Nr. 4 und 120a Abs. 2 ZPO aufgehoben. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, die Beschwerdeführerin versäumt habe, ihrer sich aus § 120a Abs. 2 ZPO ergebenden Verpflichtung nachzukommen und eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen. Der Aufhebung stehe nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin in zwei (anderen) Verfahren eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse angezeigt habe.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 5.5.2021 (Bl. 159 VKH-Heft). Sie begründet ihr Rechtsmittel mit dem Hinweis, versehentlich sei die Anzeige der Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse im vorliegenden Verfahren unterblieben, was angesichts der Vielzahl von gerichtlichen Verfahren zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem (geschiedenen) Ehemann jedenfalls nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit rechtfertige. Darüber hinaus hätte das Familiengericht die Kenntnis über die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin aus den Parallelverfahren auch im vorliegenden Verfahren verwerten können.

Das Amtsgericht - Rechtspfleger - hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 11.5.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.

Die Bezirksrevisorin beim Landgericht Kleve hat mit Zuschrift vom 24.09.2021 den Antrag gestellt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen

II) Der angefochtene Beschlusses, mit dem das Amtsgericht - Rechtspfleger - die der Antragstellerin mit Beschluss vom 28.02.2018 bewilligte Verfahrenskostenhilfe aufgehoben hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2-4 ZPO statthaft, form- und fristgerecht eingelegte und damit insgesamt zulässige sofortige Beschwerde erweist sich auch in der Sache als begründet,

1. Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe aufgehoben werden, wenn der Beteiligte entgegen § 120 a Abs. 2 S. 1 bis 3 ZPO dem Gericht wesentliche Verbesserungen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder die Änderung seiner Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten ist, ob sich das Verschuldenserfordernis - Absicht oder grobe Nachlässigkeit - in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO lediglich auf den Fall der unterlassene Mitteilung der Anschriftenänderung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4, 2. Fall ZPO oder auch auf die Aufhebung der Prozesskosten- bzw. Verfahrenskostenhilfe wegen unterlassener Mitteilung der Verbesserung der Einkommens- oder Vermögensverhältnisse nach § 124 Abs. 1 Nr. 4, 1. Fall ZPO erstreckt, folgt der Senat der überwiegenden Auffassung, derzufolge die Worte "absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit" auch auf die nicht unverzügliche Mitteilung einer Einkommens- oder Vermögensverbesserung beziehen, so dass für eine auf ein diesbezügliches Versäumnis begründete Aufhebung der Prozesskostenhilfe das Verschuldenserfordernis der Absicht oder zumindest groben Nachlässigkeit erfüllt sein muss (vgl. ausführlich OLG Frankfurt a. M. Beschluss vom 12.6.2019...

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