Verfahrensgang
AG Mönchengladbach (Entscheidung vom 15.08.2006) |
Tenor
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Die Verurteilte befindet sich seit dem 18. Februar 2006 in Haft. Grundlage für die Inhaftierung war der Haftbefehl des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 18. Februar 2006 - 59 Gs 164/06 - . Durch Urteil vom 15. August 2006 erkannte das Amtsgericht gegen die Beschwerdeführerin auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, wogegen sie fristgerecht Berufung einlegte. Mit Schreiben vom 28. August 2006 (Bl. 413 GA) - eingegangen bei Gericht am 1. September 2006 - sowie durch weitere Schreiben vom 30. August 2006 (Bl. 414 GA) und 6. Oktober 2006 (Bl. 431a GA) nahm die Verurteilte die Berufung zurück. Durch Schriftsatz vom 8. Dezember 2006 (Bl. 446 f GA) erklärte der Verteidiger namens und im Auftrag der Verurteilten die Anfechtung der Berufungsrücknahme. Zur Begründung wird ausgeführt, die des Lesens und Schreibens unkundige Beschwerdeführerin habe die Berufungsrücknahme unterzeichnet, ohne den Inhalt zu kennen. Sie habe geglaubt, sie komme nach Unterschriftsleistung in den offenen Vollzug.
Das Berufungsgericht prüft zurzeit die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme.
Die Landgericht hat durch die angefochtene Entscheidung die Fortdauer der Untersuchungshaft aus den Gründen ihrer Anordnung beschlossen. Der dagegen gerichteten Beschwerde der Verurteilten hat die Strafkammer nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde der Verurteilten ist verfahrensrechtlich überholt und somit gegenstandslos. Die Untersuchungshaft, gegen deren Fortdauer sich die Verurteilte mit der Beschwerde wehrt, ist mit Rechtskraft des Urteils am 1. September 2006 in Strafhaft übergegangen, ohne dass es einer förmlichen Einleitung der Strafvollstreckung bedurfte (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 120 Rn. 15 mit Nachw.).
Zwar ist die Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils zunächst durch die rechtzeitige Berufungseinlegung gemäß § 316 Abs. 1 StPO gehemmt worden. Durch Eingang der Berufungsrücknahmeerklärung am 1. September 2006 ist das Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 15. August 2006 aber in Rechtskraft erwachsen. Die Verurteilte hat nach ihrem eigenen Vorbringen die vorliegenden Rücknahmeerklärungen unterzeichnet, was darauf schließen lässt, dass sie sich diese inhaltlich zu eigen gemacht hat.
Durch die Anfechtungserklärung der Verurteilten vom 8. Dezember 2006 konnte die bereits am 1. September 2006 eingetretene Rechtskraft des Urteils nicht wieder entfallen. Zum einen ist eine Anfechtung der Rechtsmittelrücknahme regelmäßig nicht möglich. Zum anderen führte eine gegenteilige Auffassung zur völligen Rechtsunsicherheit über die Frage des Rechtskrafteintritts und der Vollstreckbarkeit (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1997, 301; OLG München NJW 1968, 1001). Der Verurteilte hätte es in der Hand, durch entsprechende Anträge die Vollstreckung eines rechtskräftigen Urteils zu hemmen. Dies wäre indessen systemwidrig, wie ein Blick auf § 47 Abs. 1 StPO oder § 360 Abs. 1 StPO beweist. Denn auch im Wiedereinsetzungs- und Wiederaufnahmeverfahren wird die Vollstreckung grundsätzlich nicht gehemmt.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass nicht der Senat, sondern das Landgericht als Berufungsgericht über die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme zu befinden hat. Solange die Strafkammer keine gegenteilige Entscheidung getroffenen hat, ist von dem Eintritt der Rechtskraft auszugehen. Sollte das Landgericht die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung(en) bejahen, hätte ein entsprechender Feststellungsbeschluss nur deklaratorischen Charakter (BGH NStZ-RR 2001, 267). Lediglich wenn die Strafkammer zu der Beurteilung gelangte, dass die Rücknahme der Berufung nicht wirksam war, wäre über die Haftbeschwerde zu befinden (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.). Denn dann würde der Haftbefehl wieder Wirksamkeit entfalten (vgl. § 47 Abs. 3 StPO, der ggf. entsprechend anzuwenden wäre). Aus dem angefochtenen Beschluss kann entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft aber nicht zwingend geschlossen werden, dass die Strafkammer die Berufungsrücknahme für unwirksam hält und aus diesem Grunde von einer Fortdauer der Untersuchungshaft (und nicht von einem Übergang in Strafhaft) ausgeht. Dagegen spricht insbesondere, dass das Landgericht seine Ermittlungen betreffend die Modalitäten des Zustandekommens der Rücknahmeerklärung noch nicht vollständig abgeschlossen hat. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Strafkammer zwischenzeitlich einen neuen Haftbefehl erlassen hat. Auch aus dem Erlass eines neuen Haftbefehl kann nicht gefolgert werden, die Rechtsmittelrücknahme sei wirksam. Überdies bewirkt der Erlass des neuen Haftbefehls, dass auch aus diesem Grund die anhängige, sich gegen eine frühere Haftentscheidung richtende Beschwerde aufgrund prozessualer Überholung gegenstandslos wird.
Fundstellen