Leitsatz (amtlich)

1. Ein Abgabebeschluss nach §§ 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, 416 FamFG ist bindend, wenn der Betroffene zu der beabsichtigten Abgabe angehört wurde und er sich mit derselben einverstanden erklärt hat, sofern die Abgabeentscheidung nicht jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt (hier nicht feststellbare offensichtliche Überschreitung der durch § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffneten Kompetenz).

2. Ein Abgabebeschluss ist auch dann als wirksam anzusehen, wenn durch ihn - wie hier - das Verfahren gemäß § 106 AufenthG aus Anlass eines Aufhebungsantrages nach § 426 Abs. 2 FamFG an das Gericht des Haftortes abgegeben wird.

 

Normenkette

FamFG §§ 4, 5 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Nr. 5, §§ 416, 425 Abs. 3, § 426 Abs. 2; AufenthG § 106 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Düsseldorf (Aktenzeichen 133A XIV (B) 1/15)

AG Paderborn (Aktenzeichen 11 XIV 34/15 B)

 

Tenor

Als das für die weitere Bearbeitung örtlich zuständige Gericht wird das AG Paderborn bestimmt.

 

Gründe

Das Oberlandesgericht Düsseldorf ist als das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das zunächst mit der Sache befasste AG Düsseldorf gehört, zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit der AGe zuständig, § 5 Abs. 2 FamFG.

Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung liegen vor, sei es gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, sei es gemäß der dortigen Nr. 5 (die Abgabemöglichkeit nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG stellt eine Sondervorschrift zu § 4 FamFG dar: OLG Hamm, Beschluss vom 01.06.2010 in Sachen I-15 Sbd 2/10; Keidel-Budde, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 416 Rdnr. 3).

Die örtliche Zuständigkeit des AG Paderborn ist jedenfalls durch die Bindungswirkung des auf § 416 FamFG i.V.m. § 106 Abs. 2 AufenthG gestützten Abgabebeschlusses des AG Düsseldorf vom 17.11.2015 begründet.

Die Bindungswirkung von Abgabebeschlüssen ist auch im Rahmen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 FamFG zu beachten (KG FGPrax 2006, 280; Senat, FGPrax 2007, 245; OLG Hamm a.a.O.). Ein Abgabebeschluss nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist bindend, was im Gesetzeswortlaut dadurch zum Ausdruck kommt, dass das AG durch unanfechtbaren Beschluss entscheidet (a.a.O.).

Umstände, die den hiesigen Abgabebeschluss als unwirksam und deshalb nicht bindend erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich.

Nach dem Aktenvermerk vom 17.11.2015 hat das AG Düsseldorf den Betroffenen über seine Verfahrensbevollmächtigte zu der beabsichtigten Abgabe angehört; diese erklärte sich damit einverstanden.

Die Abgabeentscheidung entbehrt auch nicht jeglicher gesetzlichen Grundlage.

Zum einen lässt sich eine offensichtliche Überschreitung der durch § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffneten Kompetenz nicht feststellen. Wie der dort verwendete Begriff der Fortdauer der Haft zu verstehen ist, ist umstritten: Zwar kann als gesichert gelten, dass jene Vorschrift nur Entscheidungen erfasst, die zeitlich nach einer erstinstanzlich abschließend angeordneten Freiheitsentziehungsmaßnahme zu treffen sind - insbesondere also nicht im Verfahrensabschnitt einer vorangehenden einstweiligen Anordnung - (OLG Hamm FGPrax 2012, 278 m. w. Nachw.). Ob jedoch unter einer Entscheidung über die "Fortdauer" der Haft nur eine solche über einen Antrag auf Verlängerung der Haft nach § 425 Abs. 3 FamFG fällt oder auch eine solche über einen Aufhebungsantrag nach § 426 Abs. 2 FamFG, wird nicht einheitlich beantwortet (vgl. KG a.a.O. mit Nachweisen und der Tendenz zur zweitgenannten Ansicht). Hier hat sich das AG Düsseldorf erkennbar die zuletzt angeführte Auffassung zueigen gemacht. Mit anderen Worten ist, so auch im gegebenen Fall, ein Abgabebeschluss als wirksam anzusehen, durch den das Verfahren gemäß § 106 AufenthG aus Anlass eines Aufhebungsantrages an das Gericht des Haftortes abgegeben wird (so ausdrücklich Keidel-Budde a.a.O., Rdnr. 4).

Zum anderen wird vertreten, dass § 4 FamFG auch im Freiheitsentziehungsverfahren gelte und ein wichtiger Grund nach dieser Vorschrift vorliege, wenn der Betroffene vor der zu treffenden Entscheidung persönlich angehört werden solle (OLG Köln FGPrax 2010, 318f; OLG Hamm 2010 a.a.O.; OLG Schleswig SchlHA 2013, 121f). Danach hätte der hier in der Rede stehende Abgabebeschluss auch auf jene Norm gestützt werden können, denn das AG Düsseldorf hat mit Vermerk vom 24.11.2015 der Sache nach ausgeführt, im Hinblick auf den hiesigen Aufhebungsantrag sei eine "persönlich durchzuführende Anhörung des Betroffenen" geboten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 9034697

FGPrax 2016, 94

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