Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt ist im Rahmen der umfassenden Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten nicht verpflichtet, ohne entsprechende Kenntnis oder ohne eine (vom Mandanten darzulegende und zu beweisende) Offenkundigkeit dahingehender tatsächlicher Umstände auf eine mögliche Insolvenzgefahr des Prozessgegners hinzuweisen.
2. Ein Rechtsanwalt ist auch nicht gehalten, sich stets über eine Insolvenzgefahr des Prozessgegners beim Mandanten zu erkundigen. Es besteht keine allgemeine Ermittlungspflicht, zumal ein Rechtsanwalt zwar mandatsbezogene Rechtskenntnisse schuldet, aber keine Kenntnisse zur wirtschaftlichen Stabilität des Gegners. Ein Rechtsanwalt darf sich grundsätzlich auf die Vollständigkeit der tatsächlichen Informationen seines Auftraggebers verlassen.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 15 O 20/22) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Der auf den 11. Juni 2024 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 18.472,88 festgesetzt.
Gründe
I. Die Berufung der Klägerin hat nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Sache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung; auch erfordert weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch Urteil des Berufungsgerichts. Schließlich ist nach den Umständen des Falls auch sonst keine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO).
Die Berufung kann gemäß §§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zu Grunde zulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Solche Umstände zeigt die Berufungsbegründung nicht in verfahrensrechtlich erheblicher Weise auf. Vielmehr hat das Landgericht die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Denn bereits eine Pflichtverletzung des Beklagten ist nicht feststellbar.
1. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen behaupteter finanzieller Nachteile durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages vom 12./20. Dezember 2019 (Anlagenband Klägerin, im Folgenden "AK", Bl. 2-5) mit ihrer vormaligen Arbeitgeberin, der ... (im Folgenden bezeichnet als "E."). Im März 2020 begann ein Insolvenzverfahren, von dem auch die Arbeitgeberin der Klägerin betroffen war.
Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass über eine mögliche Insolvenz von E. im Zuge der Mandatsbearbeitung durch den Beklagten nicht gesprochen wurde. Die Klägerin hatte erstinstanzlich vorgetragen, sie als "Verkäuferin und Mutter" habe das Risiko einer Insolvenz nicht erkannt, weil sie in rechtlichen Dingen unerfahren sei (Klageschrift vom 28. Januar 2022, S. 4, LG-GA 5). Der Beklagte hätte sie auf das Insolvenzrisiko unaufgefordert hinweisen müssen, zumal dies aufgrund des erheblichen Personalabbaus bei E., von welchem sie im Sommer 2019 während ihres Erziehungsurlaubs erfahren habe, nahegelegen habe. Hätte der Beklagte für sie keine Absicherungsmöglichkeiten für den Insolvenzfall nachverhandeln können, hätte sie das Abfindungsangebot nicht angenommen und wäre weiter für E. tätig gewesen. Die Klägerin hat - von dem Beklagten bestritten - vorgetragen, ihr seien seit dem 1. Juli 2020 Vermögenseinbußen durch das im Verhältnis zum Lohn reduzierte Arbeitslosengeld und die geringeren Lohnansprüche des von ihr nachfolgend begründeten Beschäftigungsverhältnisses mit einem anderen Arbeitgeber entstanden, die sich auf EUR 18.806,00 beliefen. Erhalten habe sie für ihre in der Insolvenztabelle angemeldete Forderung lediglich EUR 333,12.
2. Der Klägerin stehen gegen den Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus §§ 675, 611ff., 280f. BGB zu. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte die Klägerin nicht defizitär beraten und im Zuge des Abschlusses des Aufhebungsvertrages mit E. vertreten hat. Denn über die Möglichkeit einer Insolvenz des Arbeitgebers der Klägerin musste der Beklagte nicht belehren und bei seiner Tätigkeit für die Klägerin bei Abschluss des Aufhebungsvertrages eine solche auch nicht berücksichtigen. Denn hierfür hatte er keine Anhaltspunkte, geschweige denn eine Kenntnis über eine Insolvenzgefahr gehabt.
a. Die Pflicht des Anwalts, die Interessen seines Auftraggebers nach jeder Richtung umfassend wahrzunehmen und sich so zu verhalten, dass Schädigungen des Mandanten möglichst vermieden werden, besteht grundsätzlich nur in den Grenzen des erteilten Mandats (BGH, Urteile vom 29. April 1993 - IX ZR 101/92; v. 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95; v. 9. Juli 1998 - IX ZR 324/97; Beschluss vom 14. April 2005 - IX ZR 253/02, Rn. 10 mwN, jetzt und im Folgenden zitiert nach juris). Der Anwalt hat den Mandanten vor Gefahren zu warnen, die er erkennt (vgl. zur Steue...