Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen von § 233 ZPO ist ein objektiver-abstrakter Verschuldensbegriff anzuwenden. Bei Prüfung des gem. § 85 Abs. 2 ZPO der Partei zuzurechnenden Verschuldens deren Prozessbevollmächtigten ist von einer verschuldeten Fristversäumung auszugehen, wenn diese Fristversäumung unter Zugrundelegung eines standes-üblichen, also berufsbedingt hohen Sorgfaltsmaßstabs abwendbar gewesen wäre.
2. Der Prozessbevollmächtigte muss bei der Wahrung von Fristen zum Schutz des Mandanten den sichersten Weg wählen bzw. gehen; dies gilt insbesondere, wenn er - wenngleich grundsätzlich zulässig - die Frist bis zuletzt ausnutzt.
3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen bleibt, dass die Fristversäumung von der Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigten verschuldet worden ist.
4. Es stellt sich als der Partei zuzurechnendes anwaltliches Verschulden i.S.v. §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO dar, wenn sich deren Prozessbevollmächtigte in bis zum Fristablauf um 24.00 Uhr verbleibenden etwa 30 Minuten zunächst mit der Erstellung von die Fristwahrung nicht zwingend notwendiger Abschriften i.S.v. § 133 ZPO der 55-seitigen Berufungsbegründungsschrift beschäftigt hat, statt pflichtgemäß und im Sinne eines - jedenfalls in diesem späten Zeitpunkt - "sichersten Weges" ein vollständiges Exemplar der Berufungsbegründung (nebst Anlagen) schleunigst zum Nachtbriefkasten des Gerichts zu bringen, jedenfalls wenn dies - nach eigenen Angaben der Prozessbevollmächtigten - innerhalb von 30 Minuten auch durchaus realisierbar gewesen wäre.
5. Nach einem - wenn auch i.S.v. § 233 ZPO unverschuldeten - technischen Defekt der EDV-Anlage bzw. des Netzwerks innerhalb der letzten Stunden vor Fristablauf sind über die bereits im Allgemeinen hohen, standesüblichen Sorgfaltsanforderungen weiter gehende besondere Anstrengungen des Prozessbevollmächtigten zur Fristwahrung zu verlangen.
6. Selbst wenn es einer Prozessbevollmächtigten durch Probleme mit der EDV-Anlage bzw. dem Netzwerk ohne ihr Verschulden nicht möglich war, einen später nachgereichten Teil der Berufungsbegründung vor Fristablauf fertigzustellen bzw. einzureichen, muss die nachgereichte Ergänzung der Berufungsbegründung - insbesondere im Hinblick auf einen Berufungsantrag - als solche den Mindestanforderungen an eine Berufungsbegründung i.S.v. § 520 Abs. 3 ZPO genügen.
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 22.01.2014; Aktenzeichen 6 O 298/06) |
Tenor
I. Der Antrag der Beklagten, ihnen wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Mönchengladbach vom 22.1.2014 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.
II.1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 22.1.2014 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.
Gründe
A. Das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Mönchengladbach vom 22.1.2014 ist der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 5.2.2014 (1575 GA) zugestellt worden. Die Beklagten haben gegen das Urteil am 26.2.2014 (1600 ff. GA) Berufung eingelegt und - nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7.5.2014 (1611 GA) - erst nach Fristablauf am 8.5.2014 (1613 ff. GA) eine Berufungsbegründung vorgelegt. Nach Hinweis des Senats vom 9.5.2013 auf die Fristversäumung (1716 GA) haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 15.5.2014 (1718 ff. GA) - unter Darstellung und Glaubhaftmachung von besonderen Umständen am Abend des 7.5.2014 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und ihre Berufungsbegründung unter Bezugnahme darauf um weitere 12,5 Seiten (1727 ff. GA) ergänzt. Die Klägerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme (vgl. 1716 GA).
B.I. Der zulässige Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist ist unbegründet, da die Beklagten nicht ohne ihnen zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten i.S.v. §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO verhindert waren, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten
Im Rahmen von § 233 ZPO ist ein objektiver-abstrakter Verschuldensbegriff anzuwenden. Bei Prüfung des gem. § 85 Abs. 2 ZPO der Partei zuzurechnenden Verschuldens deren Prozessbevollmächtigten ist von einer verschuldeten Fristversäumung auszugehen, wenn diese Fristversäumung unter Zugrundelegung eines (standes-)üblichen, also berufsbedingt hohen Sorgfaltsmaßstabs abwendbar gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 22.11.1984 - VII ZR 160/84, NJW 1985, 1710; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl. 2014, Rz. 13 m.w.N.; Musielak, ZPO, 11. Aufl. 2014, § 233 Rz. 4 m.w.N.; Beck-OK-Vorwerk/Wolf, Edition 12, Stand 15.3.2014, § 233 Rz. 10 m.w.N.).
Der Prozessbevollmächtigte muss bei der Wahrung von Fristen zum Schutz des Mandanten den sichersten Weg wählen bzw. gehen; dies gilt insbesondere, wenn er - wenngleich grundsätzlich zuläs...