Leitsatz (amtlich)
Für die Annahme einer durch ergänzende Auslegung des Erbvertrags zu schließenden Lücke dahin, dass die Vertragsschließenden bei Kenntnis der späteren Entwicklung (hier: geistige Behinderung des gemeinsamen Sohnes) anders testiert, nämlich den Sohn nicht uneingeschränkt als Erben eingesetzt hätten, ist kein Raum, solange der Erbvertrag nicht andeutet, in welcher Weise er angepasst oder eine andere Form der letztwilligen Verfügung gewählt worden wäre.
Normenkette
BGB §§ 2084, 2278
Verfahrensgang
AG Mönchengladbach-Rheydt (Beschluss vom 15.06.2011; Aktenzeichen 12 VI 168/89) |
Tenor
Das Rechtsmittel der Beteiligten wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 100.000 EUR.
Gründe
I. Die am 9.3.1989 verstorbene Erblasserin war in erster Ehe mit dem vorverstorbenen F. U. verheiratet. Der gemeinsame Sohn, K. A. U., verstarb 1945 ledig und kinderlos. In zweiter Ehe war die Erblasserin mit dem 1944 verstorbenen F. H. G. verheiratet. Aus dieser Ehe ist der am 6.9.1931 geborene, im Jahr 2011 ledig und kinderlos verstorbene A. F. G. hervorgegangen.F. G. stand unter Betreuung und war nicht testierfähig; weitere Kinder hatte die Erblasserin nicht.
Die Erblasserin und ihr Ehemann F. H. G. schlossen am 22.10.1940 einen notariellen Erbvertrag (12 IV 159/89, NA 8), in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Als Erben des Überlebenden setzten sie den Sohn der Erblasserin aus erster Ehe, K. U., den gemeinsamen Sohn F. G. und alle etwaigen weiteren gemeinsamen Kindern zu gleichen Teilen ein. Anstelle verstorbener Kinder sollten deren Abkömmlinge treten. Einen ausdrücklichen Änderungsvorbehalt nahmen sie nicht in den Erbvertrag auf.
Am 26.7.1988 errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament (12 IV 159/89, NA 18), in dem sie ihren Sohn F. G. als ihren nicht befreiten Vorerben einsetzte. Nacherben nach dem Tod ihres Sohnes sollten hiernach ihr Neffe (verstorben 1999) und dessen Ehefrau, die Beteiligte, werden, für den Fall des Vorversterbens eines der Nacherben im Zeitpunkt des Eintritts der Nacherbfolge der Überlebende der Nacherben alleine.
Am 26.7.1989 wurde nach der Anhörung der Beteiligten, die nicht Stellung nahm, ein Erbschein erteilt, wonach F. G. Alleinerbe geworden ist.
Die Beteiligte macht geltend, der Erbvertrag vom 22.10.1940 sei nicht bindend gewesen; das Testament der Erblasserin aus dem Jahr 1988 sei wirksam; mit dem Tod des Vorerben aus dem Testament vom 26.7.1988, F. G., am 19.2.2011 sei sie alleinige Nacherbin geworden.
Der Erbvertrag enthalte eine Regelungslücke für den Fall, dass das einzig verbleibende Kind testierunfähig sei und keine Abkömmlinge habe. Es bedürfe daher einer ergänzenden Auslegung. Die Eheleute - hätten sie diesen Umstand bedacht - würden einen einseitigen Rücktritts- oder Änderungsvorbehalt aufgenommen haben. Dies ergebe sich aus daraus, dass die Erblasserin das gesamte Vermögen in die Ehe eingebracht habe, ihr Ehemann dagegen vermögenslos gewesen sei. Es sei den Eheleuten gerade darauf angekommen, die Kinder abzusichern. Da sämtliche im Erbvertrag Bedachten bereits verstorben seien und es keine lebenden Abkömmlinge gebe, könne kein Recht mehr beeinträchtigt werden und sei das Testament vom 26.7.1988 wirksam.
Die Beteiligte hat beantragt, ihr einen Erbschein, wonach sie Alleinerbin nach der Erblasserin geworden ist, zu erteilen, mit dem Vermerk, dass der Nacherbfall infolge des Todes des Vorerben F. G. am 19.2.2011 eingetreten ist.
Das AG - Nachlassgericht - hat mit Beschluss vom 15.6.2011 den Erbscheinsantrag der Beteiligten zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, gemäß § 2359 BGB sei der Erbschein nur zu erteilen, wenn das Nachlassgericht - wie hier nicht der Fall - die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB sei eine nach einem Erbvertrag getroffene Verfügung von Todes wegen unwirksam, soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würde, es sei denn, dass der Erblasser sich die abweichende Verfügung im Erbvertrag vorbehalten habe [vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 70. Aufl. 2011, § 2289 Rz. 4].
Der zwischen der Erblasserin und Herrn F. H. G. am 22.10.1940 geschlossene notarielle Erbvertrag sei bindend. Die Erblasserin habe nicht wirksam durch notarielles Testament vom 26.7.1988 abweichend testieren können. Der Erbvertrag sei nicht dahin auszulegen, dass ein Änderungs-/Rücktrittsvorbehalt von den Vertragsparteien gewollt war (1.). Das Testament beeinträchtige das Recht des vertragsgemäß Bedachten. Die Bindungswirkung sei auch nicht nachträglich durch den Tod des F. G. entfallen (2.):
1. Es sei zulässig, dass sich der/die Erblasser im Erbvertrag ausdrücklich oder stillschweigend das Recht vorbehalten, in einem bestimmten Rahmen über seinen Nachlass einseitig und anders als im Vertrag vorgesehen zu testieren [BGH NJW 1982, 441; Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2289 Rz. 8]. Einen ausdrücklichen Vorbehalt hätten die Parteien nicht vereinbart. Ein Änderungsvorbe...