Leitsatz (amtlich)
1. Die auch von der Ehefrau unterschriebene letztwillige Verfügung des Erblassers ("Testament Für den Fall, dass ich vor meiner Frau sterbe, setze ich sie hiermit zum Erben meines gesamten Nachlasses ein. Dieser besteht aus: 1. dem Barvermögen,... 2. dem Grundstück... 3. Beim Tode meiner Frau... geht der Nachlass auf meinen Sohn D. L., über, und zwar in der Form, dass mein Sohn D. das Grundstück...41 mitsamt Wohnhaus und der vollständigen Einrichtung sowie Sparbücher und eventuellem Barvermögen erhält. Dies ist mein letzter Wille.") kann mangels Andeutung einer letztwilligen Verfügung der Ehefrau hinsichtlich ihres nachgelassenen Vermögens für den Fall ihres Todes nicht als gemeinschaftliches Testament der Eheleute und bezüglich der Zuwendungen des Erblassers an die Ehefrau und an den gemeinsamen Sohn nicht als eine Voll- und Schlusserbfolge begriffen werden.
2. Zur Auslegung eines bei Errichtung der letztwilligen Verfügung wirklich vorhandenen oder - angedeuteten - hypothetischen Willens des Erblassers in Bezug auf die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts (hier: betreffend die Erben des inzwischen verstorbenen Sohnes)
Normenkette
BGB § 2108 Abs. 2 S. 1, §§ 2120, 2265, 2267 S. 1, § 2269 Abs. 1, § 2361 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Wesel (Beschluss vom 29.05.2015; Aktenzeichen 16 VI 138/03) |
Tenor
Soweit das Nachlassgericht den Einziehungsantrag der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen hat, wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen, den Erbschein des AG Wesel vom 11.7.2003 einzuziehen.
Soweit das Nachlassgericht den Erbscheinserteilungsantrag der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen hat, wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1. hat die im ersten Rechtszug für die Zurückweisung ihres Erbscheinsantrages angefallenen Gerichtskosten zu tragen; von der Erhebung von Gerichtskosten für das erstinstanzliche Einziehungsverfahren ist abzusehen. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beteiligten zu 1. auferlegt, soweit das Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist. Eine Erstattung notwendig entstandener außergerichtlicher Kosten findet weder für die erste, noch für die zweite Instanz statt.
Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren: 189.000 EUR, davon auf Einziehung und Erbscheinserteilung jeweils 94.500 EUR entfallend.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 1. war die Ehefrau des Erblassers, die Beteiligte zu 2. als Ehefrau des einzigen gemeinsamen Kindes der Eheleute seine Schwiegertochter.
Der Erblasser hinterließ ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes, mit Ort und Datum versehenes Schriftstück vom 26.1.1986, in dem es hieß:
"Testament
Für den Fall, dass ich vor meiner Frau sterbe, setze ich sie hiermit zum Erben meines gesamten Nachlasses ein.
Dieser besteht aus:
1. dem Barvermögen, das in Sparbüchern angelegt ist.
2. dem Grundstück... 41 mitsamt Wohnhaus und vollständiger Wohnungseinrichtung.
3. Beim Tode meiner Frau... geht der Nachlass auf meinen Sohn D. L., über, und zwar in der Form, dass mein Sohn D. das Grundstück...41 mitsamt Wohnhaus und der vollständigen Einrichtung sowie Sparbücher und eventuellem Barvermögen erhält.
Dies ist mein letzter Wille."
Neben dem Erblasser unterschrieb das vorbezeichnete Schriftstück - mit abgekürztem Vornamen und Nachnamen - auch die Beteiligte zu 1.
Nachdem der Erblasser im Sommer 2001 verstorben war, starb im folgenden Jahr, am 16.11.2002, auch der Sohn D.. Dieser wurde nach dem gemeinschaftlichen Erbschein des AG Wesel vom 4.12.2002 aufgrund gesetzlicher Erbfolge beerbt von der Beteiligten zu 2. zu 3/4-Anteil und der Beteiligten zu 1. zu 1/4-Anteil.
Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 31.3.2003 stellte die Beteiligte zu 1. einen Antrag auf Erteilung eines sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisenden Erbscheins. Daraufhin teilte ihr das Nachlassgericht mit Schreiben vom 11.4.2003 mit, gegen diesen Erbscheinsantrag bestünden folgende Bedenken:
"Zwar ist das Testament des Erblassers vom 26.01.1986 von seiner Ehefrau mitunterzeichnet; es dürfte sich jedoch nicht um ein gemeinschaftliches Testament der Eheleute handeln, da es formal und inhaltlich nur den letzten Willen des Ehemannes enthält und keine letztwillige Verfügung der Ehefrau. Demgemäß kann die Verfügung unter Nr. 3 nicht als Schlusserbeinsetzung des Sohnes verstanden werden. Vielmehr dürfte es sich um die Anordnung der Nacherbschaft bei Eintritt des Todes der Vorerbin handeln. Nacherbe wäre danach der Sohn D..
Dass dessen Nacherbrecht nicht vererblich wäre, geht aus dem Testament nicht hervor. Demgemäß wären als Nacherben die Erben des Sohnes D. aufzuführen, das heißt dessen Ehefrau zu ¾ und die Ehefrau des Erblassers zu ¼. Da letztere den Nacherbfall notwendig nicht erleben kann, da er erst bei ihrem eigenen Tod eintritt, wäre zu überlegen, ob hinsichtlich ihres Nacherbanteils nicht ihre - noch nicht bekannten - Erben aufzuführen sind.
Schließlich findet sich im Testament des Erblassers kein Hinweis auf eine Befreiung des Vorerben."
Na...