Leitsatz (amtlich)
Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof zu den Anforderungen an die Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung mit folgender Fragestellung:
Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen - ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung - erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?
Normenkette
StPO § 329 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; GVG § 121 Abs. 2 Nr. 1
Tenor
Die Sache wird gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen - ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung - erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?
Gründe
I.
Das Amtsgericht Duisburg hat den Angeklagten am 30. Juni 2020 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.
Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2020 hat sich der Verteidiger für den Angeklagten bestellt und Berufung gegen das Urteil eingelegt. Zugleich hat der Verteidiger die von dem Angeklagten unterzeichnete Strafprozessvollmacht vom 3. Juli 2020 vorgelegt, die eingangs dahin lautet, dass dem Verteidiger
"Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung, auch im Falle meiner Abwesenheit, in allen Instanzen erteilt" wird.
In der Berufungshauptverhandlung ist der durch öffentliche Zustellung geladene Angeklagte nicht erschienen. Der Verteidiger war unter Bezugnahme auf die nachgewiesene Vertretungsvollmacht vom 3. Juli 2020 bereit, zur Sache zu verhandeln. Das Landgericht hat diese Vertretungsvollmacht mangels ausdrücklicher Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung für unzureichend erachtet und die Berufung ohne Verhandlung zur Sache nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO rügt und geltend macht, dass in Ansehung der nachgewiesenen Vertretungsvollmacht eine Verhandlung zur Sache hätte stattfinden müssen.
II.
Der zur Entscheidung über die Revision des Angeklagten berufene Senat legt die Sache gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die im Beschlusstenor bezeichnete Rechtsfrage vor, weil er auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge beabsichtigt, die Vorlegungsfrage zu bejahen und das angefochtene Urteil aufzuheben.
Daran sieht sich der Senat durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. November 2016 (5 RVs 82/16 bei juris = BeckRS 2016, 111318) gehindert. Gegenstand dieser Entscheidung war eine inhaltsgleiche Vertretungsvollmacht mit folgendem Formulartext:
"Die Vollmacht erstreckt sich auf meine Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen sowie im Vorverfahren - ebenfalls für den Fall meiner Abwesenheit in einer Verhandlung - ..."
Das Oberlandesgericht Hamm hat diese Vertretungsvollmacht für unzureichend erachtet und verlangt, dass die Vertretungsvollmacht ausdrücklich auch die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung erfassen müsse. Nur dann könne von einer zulässigen Vertretung im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO überhaupt ausgegangen werden. Aus diesem Grund wurde die dortige Revision verworfen.
Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Die Möglichkeit der Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist in Strafsachen in folgenden Konstellationen vorgesehen: im Berufungsverfahren (§ 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO), im Strafbefehlsverfahren (§ 411 Abs. 2 StPO), nach Maßgabe des § 234 StPO, im Privatklageverfahren (§ 387 Abs. 1 StPO), im Einziehungsverfahren (§ 428 Abs. 1 Satz 1 StPO) und im Revisionsverfahren (§ 350 Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine - wie hier - ohne Einschränkung für alle Instanzen erteilte Vertretungsvollmacht deckt die Vertretung des abwesenden Angeklagten ohne Weiteres in allen strafprozessual zulässigen Vertretungsfällen ab. Der Gesetzgeber hat die Vertretungsvollmacht in den vorgenannten Vorschriften gleich behandelt. Es bedarf im Falle der Berufungshauptverhandlung keiner ausdrücklichen Hervorhebung (vgl. OLG Oldenburg BeckRS 2016, 124738 = StV 2018, 148).
Dass die Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung weitrechende Folgen für diesen haben kann, weil der Verteidiger dann berechtigt ist, ihn im Willen und in der Erklärung zu vertreten, stellt keine Besonderheit der Berufungshauptverhandlung dar. Dies gilt auch für die Erwägung, dass es sich um die letzte Tatsacheninstanz handelt. So kann ein nach § 234 StPO zulässiger Vertretungsfall auch in der Hauptverhandlung vor einer großen Strafkammer des Landgerichts (nur eine Tatsacheninstanz) eintreten (vgl. Spitzer NJW...