Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsobliegenheit bei Betreuung eines kleinen Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

Die tatsächliche Ausübung einer Berufstätigkeit neben der Betreuung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, indiziert die Vereinbarkeit der Tä-tigkeit mit den Belangen des Kindes (i.S.d. § 1570 Abs. 1 BGB). Der Abzug eines Betreuungsbonus oder eine Teilanrechnung der tatsächlich erzielten Einkünfte (nach § 1577 Abs. 2 BGB) kommt deshalb im Regelfall nicht in Betracht.

 

Normenkette

BGB § 1570 Abs. 1, § 1577 Abs. 2, § 1606; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

AG Mülheim a.d. Ruhr (Beschluss vom 04.02.2009)

 

Tenor

... wird der Beschluss des AG Mülheim an der Ruhr vom 4.2.2009 auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin teil-weise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Antragstellerin wird mit Wirkung ab Antragstellung Prozess-kostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. aus O. zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalts bewilligt, soweit sie monatlichen Unterhalt i.H.v. 344 EUR für die Zeit ab November 2008 fordert.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdegebühr wird auf 1/2 ermäßigt.

Die sofortige Beschwerde, mit der sich die Antragstellerin gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Unterhaltsklage gegen ihren geschiedenen Ehemann wendet, ist teilweise begründet. Der Antragstellerin kann die hinreichende Erfolgsaussicht für ihre beabsichtigte Unterhaltsklage in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang nicht abgesprochen werden.

 

Gründe

1. Nach Aktenlage kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin verwirkt ist. Die Möglichkeit der Verwirkung steht jedoch der Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht i.S.d. § 114 ZPO nicht entgegen, da diese Frage vorliegend einer summarischen Prüfung nicht zugänglich ist und deshalb im Hauptsacheverfahren geklärt werden muss. Die Antragstellerin trifft eine Verpflichtung, den Antragsgegner ungefragt über die Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit zu informieren, wenn dieser auf Grund vorangegangenen Tuns der Antragstellerin sowie nach der Lebenserfahrung keine Veranlassung hatte, sich durch ein Auskunftsbegehren über veränderte Einkommensverhältnisse der Antragstellerin zu vergewissern (Wendl/Staudigl-Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl. 2008, § 6 Rz. 233). Ob diese Voraussetzung vorliegend erfüllt ist, kann nach Aktenlage nicht beurteilt werden. Der Umstand, dass die seit Oktober 2007 erzielten Einkünfte der Antragstellerin wegen der laufenden Probezeit noch nicht hinreichend gesichert waren und die Antragstellerin zudem rechtsirrig der Auffassung war, neben der Kinderbetreuung nicht zu der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verpflichtet zu sein, rechtfertigt ein Verschweigen der Arbeitsaufnahme jedoch nicht.

2. Nach den Maßstäben des Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahrens hat die Antragstellerin hinreichend dargelegt, dass der Einsatzzeitpunkt gewahrt ist. Im Attest vom 10.3.2009 bescheinigt Dr. B. (Prakt. Ärztin-Psycho-Thereapie), dass die Antragstellerin seit August 1997 fortlaufend wegen einer schweren Depression behandelt werde. Für die Dauer der seit Juni 2008 stationär behandelten Erkrankung der Antragstellerin bestand bzw. besteht dann dem Grunde nach ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB, weil der erneute Ausbruch der Erkrankung in einem nahen zeitlichen Zusammenhang zu den Einsatzzeitpunkten nach § 1572 Nr. 2 und 4 BGB stand.

3. Die Antragstellerin war jedenfalls nach dem bis zum 31.12.2007 geltenden Recht (Altersphasenmodell) und in einer Übergangsphase von mindestens drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts nicht zur Aufnahme einer Vollzeittätigkeit verpflichtet. Aufgrund der nach damaliger Rechtslage allenfalls teilschichtigen Erwerbsobliegenheit neben der Betreuung der damals sieben und zehn Jahre alten Töchter der Parteien bestand ein Unterhaltsanspruch aus § 1570 BGB i.V.m. § 1573 Abs. 2 BGB a.F. Krankenunterhalt kann deshalb im Anschluss an den bis zum Ende der Übergangsfrist geschuldeten Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt beansprucht werden.

4. Bei der summarischen Unterhaltsberechnung geht der Senat zugunsten der Antragstellerin von einem Fortbestehen der Erkrankung aus. Zwar hat die Antragstellerin ihre Erwerbstätigkeit im Umfang von 33 Wochenstunden am 23.3.2009 wieder aufgenommen, musste sich jedoch bereits am 19.4.2009 wieder in stationäre Behandlung begeben. Für die Unterhaltberechnung wurde deshalb auf Seiten der Antragstellerin das bezogene Krankengeld i.H.v. 27,88 EUR × 30 = 836,40 EUR pro Monat zugrunde gelegt.

Das Einkommen des Antragsgegners wurde auf der Grundlage der vorliegenden Lohnabrechnungen ermittelt. Es errechnet sich ein Nettoeinkommen des Antragsgegners einschließlich des Nutzungsvorteils für den Dienstwagen, den der Senat mangels näherer Anhaltspunkte mit 257 EUR veranschlagt, von 2.564,75 EUR abzgl. 73 EUR Vermögensbildung (ergänzen...

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