Leitsatz (amtlich)

1. Für den Vorwurf des Behinderungsmissbrauchs gegen einen Abfüller von Kohlensäurezylinder, die in Besprudelungsgeräten zur Eigenherstellung von Mineralwasser eingesetzt werden, ist in sachlicher Hinsicht ausschließlich auf den Befüllmarkt abzustellen. Der Produktmarkt für verkaufsfertiges Mineralwasser ist auch dann nicht in den relevanten Markt einzubeziehen, wenn aus der Sicht des Letztverbrauchers selbst hergestelltes und verkaufsfertiges Mineralwasser den-selben Bedarf decken und deshalb funktional austauschbar sind.

2. Überlässt ein Befüllunternehmen seinen Kunden die Kohlensäurezylinder nur deshalb mietweise, um eine Fremdbefüllung seiner Zylinder mit dem Argument der Eigentumsbeeinträchtigung abzuwehren und auf diesem Weg den Wettbewerb auf dem Befüllmarkt zu beschränken, kann die Kartellbehörde auch dann eine Abstellverfügung erlassen, wenn ihre Befolgung zum Verlust des Eigentums an den Mietzylindern führt oder führen kann.

3. Die von einem Mietzylindersystem ausgehende Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem Befüllmarkt ist nicht unter dem Gesichtspunkt der angemessenen Systemmarge - d.h. deshalb, weil der betreffende Anbieter auf dem vorgelagerten Markt für den Vertrieb von Besprudelungsgeräten in einem Wettbewerb mit den Produzenten von verkaufsfertigem Mineralwasser steht und seine Geräte zu nicht mehr kostendeckenden Preisen verkaufen muss - zu tolerieren.

 

Normenkette

EG Art. 82; GWB §§ 19, 32 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

BKartA (Beschluss vom 09.02.2006; Aktenzeichen B3-39/03)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 04.03.2008; Aktenzeichen KVR 21/07)

 

Tenor

I. Die Beschwerden der Beteiligten gegen den Beschluss des Bun-deskartellamtes vom 9.2.2006 (B3-39/03) werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die in Ziff. 5.a) verfügte Hinweispflicht entfällt.

II. Die Beteiligten haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen; sie haben darüber hinaus dem BKartA und den Beigeladenen ihre in der Beschwerdeinstanz entstandenen not-wendigen Auslagen zu erstatten.

III. Der Beschwerdewert wird auf 5 Mio. EUR festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Unternehmensgruppe S.-C. wurde 1991 gegründet und ist inzwischen europaweit tätig. Zu ihr gehören auch die Beteiligten (nachfolgend: S.-C.). Die Beteiligte zu 2. betreibt das wesentliche operative Geschäft der Unternehmensgruppe; die Beteiligte zu 1. ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der Beteiligten zu 2.

S.-C. produziert und vertreibt Besprudelungsgeräte. Mit diesen Geräten kann der Endverbraucher sein Mineralwasser selbst herstellen, indem er Leitungswasser mit Kohlensäure versetzt. Sowohl von S.-C. wie auch von allen Wettbewerbern werden die Besprudelungsgeräte im Set - d.h. einschließlich eines gefüllten Kohlensäure-Zylinders und einer PET-Flasche für das selbstgemachte Mineralwasser - verkauft. Da der Markt für Besprudelungsgeräte mittlerweile gesättigt ist und nur noch geringe Zuwachsraten verzeichnen kann, sind die Set-Preise im Laufe der Zeit deutlich gesunken. Während die Gerätesets Anfang der 90iger Jahre noch zwischen 150 und 200 DM kosteten, sind sie heute bereits zu Preisen ab 30 EUR erhältlich. Dementsprechend erzielt S.-C. heutzutage den größten Teil seines Umsatzes nicht mehr aus dem Verkauf der Besprudelungsgeräte, sondern aus der Wiederbefüllung der Kohlensäure-Zylinder.

Je nach Größe des Zylinders reicht die Füllmenge für die Herstellung von 30 Liter (300 g-Zylinder) bis 60 Liter (425 g-Zylinder) Mineralwasser. Ist der Zylinder leer, kann der Kunde ihn gegen einen vollen Zylinder umtauschen, wobei er lediglich die gelieferte Kohlensäuremenge zu bezahlen hat. Zur Versorgung seiner Kunden mit Kohlensäure unterhält S.-C. ein zentrales Abfüllwerk in L. sowie ein bundesweites Vertriebshändlernetz mit Annahmestellen zum Umtausch der Zylinder. Das Befüllgeschäft hat S.-C. folgendermaßen organisiert:

Während der 300 g-Stahlzylinder - der auch bei den Besprudelungsgeräten der Wettbewerber verwendet werden kann - dem Kunden verkauft wird, sollen die Aluminium-Zylinder mit einem Füllgewicht von 325 g und 425 g nur mietweise überlassen werden. Für diese Mietzylinder fordert S.-C. vom Kunden bei Aushändigung eine Mietvorauszahlung. Gibt der Kunde den Zylinder vor Ablauf von 9 Jahren endgültig - also nicht nur zum Zwecke der Wiederbefüllung - an S.-C. zurück, wird ihm die Vorauszahlung gegen Vorlage des Kassenbelegs und eines Benutzerzertifikats teilweise erstattet. Die Höhe der Rückerstattung hängt von der Mietzeit ab. Für das erste Nutzungsjahr bringt S.-C. 20 % und für jedes weitere Jahr 10 % der Vorauszahlung in Abzug. Darüber hinaus verpflichtet S.-C. seine Vertriebshändler, die Mietzylinder ausschließlich über S.-C. wiederbefüllen zu lassen. Eine Befüllung durch Drittunternehmen verfolgt das Unternehmen ggü. dem betreffenden Endverbraucher, Händler und Abfüllunternehmen als Eigentumsverletzung. Überdies begrenzt S.-C. gegenüber seinen Vertriebshändlern die Rücknahme von Mietzylindern in mehrfacher Hinsicht. Bei Vertr...

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