Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Patentrecht: Vorliegen einer Lizenzbereitschaft; Abschluss eines Poollizenzvertrags; Diskriminierung bei verschiedenen Lizenzierungsmodellen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine lediglich verbal geäußerte Bitte um eine FRAND-Lizenzierung reicht jedenfalls dann nicht aus, wenn das übrige Verhalten des Erklärenden bei objektiver Betrachtung unmissverständlich Zeugnis davon ablegt, dass es sich bei ihr um ein reines Lippenbekenntnis handelt, das ganz offensichtlich nicht von einem ernstgemeinten Willen zur Lizenznahme getragen wird, sondern dem einzigen Zweck dient, den Patentinhaber hinzuhalten, seine Rechtsverfolgung zu verschleppen und so die das Patent benutzenden Handlungen ungehindert fortzusetzen. (Rn. 7)
2. Bei einem solchen Vorverhalten ist eine neuerliche Lizenzbitte nur dann beachtlich, wenn sie von Umständen begleitet wird, die eine innere Abkehr des Verletzers von seiner bisherigen Verweigerungshaltung deutlich erkennen lassen. Hierfür kann ein eigenes Lizenzangebot ausreichend sein. Das gilt allerdings dann nicht, wenn der Angebotsinhalt in einem Maße un-FRAND ist, dass mit ihm ersichtlich kein neues Kapitel in den Lizenzbemühungen aufgeschlagen, sondern - im Gegenteil - die bisherige Hinhalte- und Verzögerungstaktik fortgesetzt wird. (Rn. 10)
3. Die Forderung nach einer Poollizenz ist nicht per se kartellrechtlich bedenklich. Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Lizenznehmer im Rahmen des ihm angebotenen Poollizenzvertrags zu Zahlungen für die Benutzung nichtstandardessenzieller Patente verpflichtet werden soll, der Lizenznehmer ein Interesse an der Entwicklung eines Produkts für ein spezifisches, geografisch begrenztes Gebiet hat oder der Abschluss des angebotenen Poollizenzvertrags zu einer Doppellizenzierung (Individual- und parallele Poollizenz) und damit verbunden zu einer doppelten Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren führt. (Rn. 12)
4. Der SEP-Inhaber muss sich nicht von vornherein auf ein bestimmtes Lizenzmodell festlegen. Ein Nebeneinander verschiedener Lizenzierungsmodelle ist unter Diskriminierungsgesichtspunkten dann nicht zu beanstanden, wenn der Zugang zu diesen Modellen jeweils diskriminierungsfrei anhand objektiver Kriterien erfolgt. (Rn. 15)
Normenkette
AEUV Art. 102; ZPO §§ 707, 719
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.05.2021; Aktenzeichen 4b O 83/19) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten vom 25. Mai 2021, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf, Az. 4b O 83/19, vom 11. Mai 2021 einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe
Der zulässige Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem mit der Berufung angegriffenen Urteil des Landgerichts (§§ 719 Abs. 1 S. 1, 707 Abs. 1 S. 1 ZPO) ist unbegründet.
1. Gemäß §§ 719, 707 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil - gegen oder ohne Sicherheitsleistung - einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der demnach zu treffenden Ermessensentscheidung hat das Gericht stets die widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits umfassend abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der Vorschrift des § 709 S. 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheit hinreichend geschützt ist. Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen das angefochtene Urteil (wie hier) nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur in Ausnahmefällen unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.02.2020, Az.: I-2 U 3/20; Beschl. v. 24.09.2019, Az.: I-2 U 25/19; Beschl. v. 05.08.2019, Az.: I-2 U 35/19, GRUR-RS 2019, 24918 - Cholesterinsenker; Beschl. v. 05.08.2019, Az.: I-2 U 28/19; Beschl. v. 28.01.2021, Az.: I-2 U 24/20, jew. m.w.N).
Für den Bereich des Patentrechts besteht darüber hinausgehend die Besonderheit, dass die Laufzeit des Patents und damit das von ihm vermittelte Unterlassungsgebot zeitlich begrenzt ist, weshalb jedenfalls bei einem zeitnahen Ablauf des Schutzrechts jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung zu einem vollständigen Leerlaufen des Unterlassungsanspruchs führen kann (BGH, GRUR 2000, 862 - Spannvorrichtung; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.04.2020, Az.: I-2 U 11/20; Beschl. v. 05.08.2019, Az.: I-2 U 35/19, BeckRS 2019, 24918; Beschl. v. 05.08.2019, Az.: I-2 U 28/19; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 326 - Mobiltelefone; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 50 - Leiterbahnstrukturen; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.04., Az. 6 U 168/14, BeckRS 2015, 18619, jew. m.w.N.).
Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur dann gerechtf...