Leitsatz (amtlich)
›Werden nach dem Erlass eines Haftbefehls weitere Taten des Beschuldigten im Sinne eines dringenden Tatverdachts bekannt, beginnt mit dem Erlass eines neuen oder eines um diese Taten erweiterten Haftbefehls die 6-Monatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO erneut zu laufen.‹
Gründe
I.
Der Beschuldigte befindet sich seit dem 1. April 2003 in Untersuchungshaft. Grundlage dafür war zunächst der Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 26. März 2003 (10 Gs 542-543/03), der durch Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 1. September 2003 (10 GS 6 Js 640/99 - 1554/03) ersetzt worden ist. Jenes Ermittlungsverfahren der StA Kleve richtet sich gegen den Beschuldigten und weitere Mitbeschuldigte wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betruges. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 1. September 2003 ist durch Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. November 2003 (III - 4 Ws 482/03) aufgehoben worden.
Seitdem befindet sich der Beschuldigte im vorliegenden Verfahren in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom 25. August 2003 (10 Gs 203 Js 199/03 - 1411/03), der durch Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 14. November 2003 (10 Gs 203 Js 199/03 - 1992/03) ersetzt worden ist. Für dieses Verfahren, dem der Verdacht des Verstoßes gegen die Abgabenordnung zu Grunde liegt, war zuvor Überhaft notiert.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat zur Entscheidung gemäß § 122 Abs. 1 StPO vorgelegt und beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.
II.
Entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft ist eine Entscheidung des Senats zur Zeit nicht veranlasst.
Der Beschuldigte befindet sich nicht "wegen derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO seit über sechs Monaten in Untersuchungshaft, sondern seit der Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom 1. September 2003 durch das Oberlandesgericht aufgrund des Haftbefehls vom 25. August 2003 in Verbindung mit dem Haftbefehl vom 14. November 2003 wegen einer anderen, neuen Tat, die eine eigene Frist von 6 Monaten in Gang gesetzt hat. Fristbeginn insoweit ist, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, der 25. August 2003.
1.
Was unter "derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO zu verstehen ist, hat das Gesetz nicht definiert. In Literatur und Rechtsprechung besteht jedoch heute Einigkeit dahingehend, dass sie nicht mit dem Tatbegriff des § 264 StPO gleichgesetzt werden kann. Eine solche Auslegung würde dem Schutzzweck des § 121 StPO nicht gerecht, weil dies die Möglichkeit einer "Reservehaltung" von Tatvorwürfen ermöglichen würde. Bereits bei Erlass eines Haftbefehls bekannte oder später im Laufe der Ermittlungen bekannt werdende weitere Taten des Beschuldigten im Sinne des § 264 StPO könnten zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Frist des § 121 StPO zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Frist von 6 Monaten in Gang zu setzen. Da eine solche Verfahrensweise mit dem Schutzzweck des § 121 Abs. 1 StPO offenkundig nicht zu vereinbaren wäre, besteht Einigkeit, dass eine weitergehende Auslegung des Begriffs "derselben Tat" erforderlich ist (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 152; OLG Karlsruhe StV 2000, 513; OLG Thüringen StV 1999, 329; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 182; OLG Hamm StV 1998, 555; OLG Köln NStZ-RR 1998, 181; OLG Bremen StV 1998, 140; OLG Brandenburg StV 1997, 536; OLG Frankfurt NJW 1990, 2144; OLG Celle StV 1989, 255; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 121 Rn. 11 ff.; Boujong in KK StPO, 5. Auflage, § 121 Rn. 10; Summa NStZ 2002, 69).
Keine Einigkeit besteht jedoch dahingehend, wie eine solche erweiterte Auslegung zu erfolgen hat.
a)
Zum Teil wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Ansicht vertreten, zur Bestimmung der Frist des § 121 Abs. 1 StPO sei eine Zusammenrechnung der jeweiligen Haftzeiten erforderlich, wenn sich der Beschuldigte aufgrund verschiedener (neuer oder erweiterter) Haftbefehle in Untersuchungshaft befindet (OLG Karlsruhe (1. Senat) StV 2003, 517; OLG Köln NStZ-RR 2001, 123 und NStZ-RR 1998, 181; OLG Koblenz (2. Senat) NStZ-RR 2001, 124 und Beschluss vom 20. Oktober 2000 - (2) 4420 BL - III - 44/00; OLG Thüringen StV 1999, 329; OLG Bremen StV 1998, 140; OLG Celle StV 1989, 255; OLG Schleswig StV 1983, 466).
Da eine solche bloße Zusammenrechnung von Haftzeiten jedoch die Gefahr unbilliger Ergebnisse birgt, etwa dann, wenn kurz vor oder unmittelbar nach Ablauf der 6-Monats-Frist eine weitere, unter Umständen sehr viel schwerer wiegende Tat bekannt wird, soll nach den Befürwortern dieser Ansicht die Zusammenrechnung von weiteren Bedingungen abhängig sein, ohne dass insoweit allerdings eine einheitliche Linie festzustellen wäre.
aa)
Zum Teil wird darauf abgestellt, eine Zusammenrechnung habe nur dann zu erfolgen, wenn sich eine Verbindung der den verschiedenen Haftbefehlen zu Grunde liegenden Verfahren wegen des inneren - sachlichen und zeitlichen - Zusammenhangs der Tatvorwürfe tatsächlich anbiete (OLG Köln NStZ...