Leitsatz (amtlich)

StPO §§ 140, 142 Abs. 1 Satz 2

Von der Anhörung des Angeklagten vor der Beiordnung eines Pflichtverteidigers darf abgesehen werden, wenn die konkrete Verfahrenslage die sofortige Bestellung eines Pflichtverteidigers gebietet. Dies ist etwa der Fall, wenn die Hauptverhandlung gegen den seit längerer Zeit in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten unmittelbar bevorsteht, der Wahlverteidiger kurzfristig sein Mandat niederlegt und die vorherige Anhörung des Angeklagten zur Aufhebung des Hauptverhandlungstermins und zu einer mit dem in Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbarenden Verzögerung der Durchführung der Hauptverhandlung führen würde.

 

Tenor

Die Beschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Angeklagten verworfen.

 

Gründe

I.

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, unerlaubt mit Betäubungsmitteln - Kokain - in vier Fällen Handel getrieben zu haben, wobei es sich in zwei Fällen um nicht geringe Mengen handelte. Als seine Wahlverteidiger hatten sich Rechtsanwalt Dr. C in Düsseldorf, Rechtsanwältin K in Düsseldorf und Rechtsanwalt W in Moers jeweils unter Vorlage einer schriftlichen Strafprozeßvollmacht des Angeklagten gemeldet.

Nachdem die XII. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf mit Beschluß vom 10. September 1998 das Hauptverfahren eröffnet hatte, bestimmte der Vorsitzende Termin zur Hauptverhandlung auf den 26. Januar 1999. Wegen der Verhinderung eines Zeugen, dessen Entbehrlichkeit nicht von Anfang an bestand, beraumte der Strafkammervorsitzende später noch einen Fortsetzungstermin auf den 27. Januar 1999 an. Noch vor Beginn der Hauptverhandlung legten die Wahlverteidiger nacheinander das ihnen erteilte Mandat aus nicht näher erläuterten Gründen nieder.

Mit Schrift vom 6. Januar 1999 meldete sich nunmehr Rechtsanwalt Dr. B als dessen Wahlverteidiger, beantragte Akteneinsicht für zwei Wochen und teilte gleichzeitig mit, daß er die bereits festgesetzten Hauptverhandlungstermine nicht wahrnehmen könne, da er sich außerstande sehe, die Verteidigung bis dahin sachgerecht vorzubereiten und er außerdem terminlich verhindert sei. Demgemäß bat er um Aufhebung der bereits bestimmten Hauptverhandlungstermine und Neuterminierung nach Absprache mit ihm.

Unmittelbar nach Faxübermittlung der Eingabe des Rechtsanwalts Dr. B vom 6. Januar 1999 bestellte der Strafkammervorsitzende durch Beschluß vom selben Tage daraufhin Rechtsanwalt in Moers, der zuvor Mitarbeiter in der Kanzlei des früheren Wahlverteidigers Rechtsanwalt W gewesen und mit dem Verfahren vollständig vertraut war, mit seinem Einverständnis im Hinblick auf die Hauptverhandlung vom 26. und 27. Januar 1999 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten, ohne diesem allerdings zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß § 142 Abs. 1 S. 2 StPO zu geben. Der Strafkammervorsitzende begründete seine Entscheidung mit dem Hinweis, "Eine Vertagung dieser Haftsache um Monate sei im Interesse des Angeklagten unzumutbar. "

Rechtsanwalt C war in der Hauptverhandlung, in welcher am 27. Januar 1999 das Urteil erging, als Pflichtverteidiger des Angeklagten zugegen. Dieser wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Mit Schrift des in der Hauptverhandlung nicht anwesenden Wahlverteidigers Rechtsanwalt Dr. B vom 29. Januar 1999 legte der Angeklagte gegen das Urteil der Strafkammer Revision ein. Eine Rechtsmitteleinlegung durch den Pflichtverteidiger Rechtsanwalt C unterblieb.

Den Antrag des Wahlverteidigers Rechtsanwalt Dr. B vom 10. März 1999, ihn dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beizuordnen, lehnte der Strafkammervorsitzende mit Beschluß vom 12. März 1999 ab, da der Angeklagte bereits einen Pflichtverteidiger habe. Hiergegen richtet sich die ausdrücklich namens des Angeklagten von Rechtsanwalt Dr. B eingelegte Beschwerde.

II.

Das zulässige Rechtsmittel erweist sich in der Sache als unbegründet.

1.

Der Antrag, dem Angeklagten Rechtsanwalt Dr. B als Pflichtverteidiger zu bestellen, ist zu Recht abgelehnt worden, weil der Angeklagte bereits einen Pflichtverteidiger hat.

a)

Rechtsanwalt C in Moers ist dem Angeklagten ordnungsgemäß nach § 142 Abs. 1 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet worden, nachdem sämtliche Wahlverteidiger zuvor ihr Mandat niedergelegt hatten.

Allerdings ist dem Angeklagten entgegen der Vorschrift des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO keine Gelegenheit gegeben worden, innerhalb einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden angemessenen Frist einen Rechtsanwalt als gewünschten Pflichtverteidiger zu benennen. Auch hatte der Angeklagte nicht von sich aus den Wunsch auf Beiordnung von Rechtsanwalt geäußert. Das ist jedoch im Ergebnis unschädlich. Denn von der Anhörung nach § 142 Abs. 1 S. 2 StPO darf abgesehen werden, wenn nach der konkreten Verfahrenslage die sofortige Bestellung eines Pflichtverteidigers notwendig erscheint (vgl. Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. , § 142 Rdnr. 10 m. w. N. ).

So lag der Fall hier. Die drei früheren Wahlverteidiger hatten ihre Mandate niedergelegt. Rechtsanwalt Dr. B hatte ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge