Leitsatz (amtlich)
›Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung kann nach zunächst erfolgter Bejahung durch die Staatsanwaltschaft auch noch im Revisionsverfahren verneint werden.‹
Verfahrensgang
AG Erkelenz (Entscheidung vom 06.05.2002) |
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 5,00 Euro verurteilt.
Dagegen hat der Angeklagte Sprungrevision eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 5. März 2003 die in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach vom 28. Dezember 2001 erfolgte Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung zurückgenommen. Die gesetzlichen Vertreter der geschädigten Minderjährigen D. B. haben durch Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 17. August 2001 ausdrücklich erklärt, dass sie keinen Strafantrag stellen.
Die Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses iSd § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB durch die Erklärung der Rücknahme der zunächst erklärten Bejahung durch die Staatsanwaltschaft kann auch noch im Revisionsverfahren erfolgen (vgl. BGHSt 19, 377, 380; LK-Hirsch, Aufl., § 232 a.F. StGB Rdnr. 22 mwN).
Infolge des von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrenshindernisses ist die Einstellung des Verfahrens gemäß § 206 a StPO auszusprechen (vgl. BGHSt 10, 278, 279; BGH NStZ 1994, 227; 1987, 239; 1986, 276; BayObLGSt 1985, 141, 142). Diese Vorschrift ist bei Vorliegen eines nicht mehr behebbaren Prozesshindernisses auch noch im Rechtsmittelverfahren unmittelbar anzuwenden (so auch BGHSt 32, 275, 290; 24, 208, 212; BayObLG NJW 1987, 1711, 1712 mwN; BayObLGSt 1985, 52, 55 mwN).
II.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht insoweit auf § 467 Abs. 1 StPO. Zwar kann nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn dieser wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
Ist eine Verurteilung zweifelhaft, scheidet die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO aus. Wenn bereits einem trotz verbleibender erheblicher Verdachtsmomente Freigesprochenen die Rechtswohltat des § 467 Abs. 1 StPO zukommt, so müssen erst recht demjenigen Angeklagten seine notwendigen Auslagen ersetzt werden, dessen Verfahren wegen einer fehlenden Prozessvoraussetzung eingestellt wird, ohne ihm die vorgeworfene Straftat ausreichend sicher nachzuweisen. Im Regelfall kann diese Prognose nur getroffen werden, wenn eine Hauptverhandlung unter Erhebung von Beweisen bei voller Wahrung der Verteidigungsrechte des Angeklagten durchgeführt worden ist. Sofern keine entsprechende und damit ausreichend sichere Schuldfeststellung möglich ist, kommt eine Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 5.2.1997 = OLGSt Nr. 9 zu § 467 StPO; BayObLG NJW 1987, 1711, 1712; BayObLGSt 1969, 133, 135/136; OLG Hamburg MDR 1972, 344; KK-Franke, 4. Aufl., § 467 StPO Rdnr. 10 a mwN; vgl. auch BVerfG NStZ-RR 1996, 45, 46; NJW 1992, 1612, 1613; 1990, 2741, 2742; 1987, 2427, 2428).
So lässt auch der Bundesgerichtshof (vgl. NStZ 2000, 330, 331) eine Ermessensentscheidung im Rahmen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur dann zu, wenn nach weitgehender Durchführung der Hauptverhandlung bei Eintritt des Verfahrenshindernisses ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden.
Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist vorliegend zu berücksichtigen, dass das angefochtene Urteil durchgreifende Rechtsfehler enthält, die von der Revision zutreffend herausgestellt worden sind.
Bereits die zulässig erhobene Verfahrensrüge des Angeklagten hätte zur Aufhebung des Urteils geführt. Denn das Amtsgericht hat den von dem Verteidiger in seinem Plädoyer gestellten Hilfsbeweisantrag im Urteil nicht beschieden.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen genügen im übrigen angesichts des gravierenden verkehrsrechtlichen Fehlverhaltens der Geschädigten, die - soweit ersichtlich - wie die Zeugin Arian ohne Handzeichen plötzlich nach links in die Fahrbahn des Angeklagten gefahren ist, nicht, um den Vorwurf einer fahrlässigen Körperverletzung zu belegen.
Zudem hat das Amtsgericht Erwachsenenstrafrecht angewendet, ohne dies ausreichend zu begründen. Allein der allgemeine Hinweis auf den persönlichen Eindruck des Heranwachsenden in der Hauptverhandlung genügt revisionsrechtlichen Anforderungen nicht.
Demgemäß hat es bei dem Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO zu verbleiben, wonach die notwendigen Auslagen des Angeklagten in vollem Umfang aus der Staatskasse zu erstatten sind.
Fundstellen