Leitsatz (amtlich)

›1. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung kann konkludent (z.B. durch Anklageerhebung oder durch Antrag auf Erlass eines Strafbefehls) erfolgen.

2. Ist die Anklage wegen des Vorwurfs eines Offizialdelikts (hier: wegen gefährlicher Körperverletzung) erhoben worden, kann die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eines Antragsdelikts darin liegen, dass die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung (nach Hinweis des Gerichts) im Rahmen des Schlussvortrags beantragt, den Angeklagten wegen des Antragsdelikts (hier: wegen vorsätzlicher Körperverletzung) zu verurteilen.‹

 

Verfahrensgang

LG Duisburg (Entscheidung vom 18.09.2002)

 

Gründe

Mit der unverändert zugelassenen Anklageschrift warf die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. Der Geschädigte hatte keinen Strafantrag gestellt. Wegen dieses Deliktes hat das Amtsgericht den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht - nach entsprechendem Hinweis in der Hauptverhandlung - das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Gleichzeitig hat der Angeklagte gegen die in dem Urteil der Strafkammer enthaltene Kosten- und Auslagenentscheidung sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zumindest vorläufigen Erfolg.

1. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung nach § 223 StGB steht ein Verfahrenshindernis (§ 206a StPO) infolge des fehlenden Strafantrages des Geschädigten nicht entgegen, weil die Staatsanwaltschaft hier das Strafverfolgungsinteresse in der Berufungshauptverhandlung formlos zum Ausdruck gebracht hat.

Gemäß § 230 StGB wird die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 StGB nur auf Antrag, der hier nicht gestellt wurde, verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Die Erklärung der Staatsanwaltschaft benötigt grundsätzlich keine besondere Form, die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung kann vielmehr auch konkludent (z.B.) durch Anklageerhebung oder Antrag auf Erlass eines Strafbefehls erfolgen (LK-Hirsch, StGB, 10. Aufl., § 232 a.F. Rdnr. 19; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 230 Rdnr. 4). Im vorliegenden Fall ist die Anklageerhebung wegen eines Offizialdeliktes erfolgt, so dass für eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 230 StGB zunächst kein Raum war.

Eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes ergab sich erst in der Berufungshauptverhandlung. Der Angeklagte wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls darauf hingewiesen, dass er auch "wegen einfacher Körperverletzung gemäß § 223 StGB" verurteilt werden könne. Weist der Tatrichter in der Hauptverhandlung darauf hin, dass abweichend von dem angefochtenen Schuldspruch eine Verurteilung des Angeklagten wegen "einfacher Körperverletzung gemäß § 223 StGB" in Betracht kommt, kann die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft darin liegen, dass der Sitzungsvertreter von der dem Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils zugrunde liegenden Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als Offizialdelikt (hier: § 224 Abs.1 Nr. 2 StGB) abrückt und, obwohl ein entsprechender Strafantrag von dem Geschädigten nicht gestellt worden war, im Rahmen des Schlussvortrages beantragt, den Angeklagten wegen des Antragsdeliktes zu verurteilen (vgl. BGHR, StGB § 323 öffentliches Interesse 1; BayObLG NJW 1990,461,462).

Diese verfahrensrechtliche Situation liegt hier vor. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hat in der Berufungshauptverhandlung nach rechtlichem Hinweis (§ 265 StPO) die der Anklageschrift und dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung (Offizialdelikt) nicht aufrecht erhalten, sondern sich der Auffassung der Strafkammer angeschlossen und beantragt, den Angeklagten "wegen vorsätzlicher Körperverletzung" zu einer Freiheitsstrafe zu verurteilen. Unter diesen Umständen liegt hier in dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft stillschweigend die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung des dem Angeklagten zur Last gelegten Vergehens.

2. Soweit der Schuldspruch betroffen ist, ist die Revision unbegründet, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349...

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