Leitsatz (amtlich)
1. Eine im Preismissbrauchsverfahren ergangene Untersagungsverfügung, die dem Betroffenen bei der Erhebung von Netznutzungsentgelten eine absolute jährliche Erlösobergrenze setzt, unterwirft den Betroffenen mit faktisch regulierender Wirkung mittelbar einer präventiven Preiskontrolle, die von der Ermächtigungsnorm des § 32 GWB nicht gedeckt ist. Es muss durch die getroffene Anordnung selbst ausgeschlossen sein, dass die Verfügung die Wirkung einer präventiven Preiskontrolle entfaltet.
2. Wird der Missbrauchsvorwurf nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB allein mit dem Ergebnis eines Vergleichs der Umsatzerlöse des betroffenen Unternehmens mit jenen eines auf einem Vergleichsmarkt tätigen vielfach größeren und leistungsfähigeren Unternehmens gerechtfertigt, dürfen mit Blick auf eine zureichende Vergleichsfähigkeit die unternehmensindividuellen Besonderheiten nicht ausgeklammert werden.
3. Werden wegen struktureller Unterschiede auf den Vergleichsmärkten zur Herstellung einer Vergleichbarkeit geschätzte Korrekturzuschläge (und/oder -abschläge) angebracht, so ist der Vergleich nicht aussagekräftig für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, wenn die Zu- und Abschläge sich zu mehr als 50 % auf das Ergebnis auswirken.
4. Einem auf die Länge des Verteilnetzes bezogenen Erlösvergleich ist eine grundsätzliche Eignung, zur Begründung eines Preismissbrauchs herangezogen zu werden, nicht abzusprechen. Die Kartellbehörde darf die Preiskontrolle im Rahmen von § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB jedoch nicht auf einen Vergleich der Umsatzerlöslage je Kilometer Leitungslänge beschränken, ohne zu übersuchen, welche Auswirkungen die Verfügung einer festen Erlösobergrenze auf die Leistungsfähigkeit, den Gewinn, die Rentabilität und die Konkurrenzfähigkeit des betroffenen Unternehmens hat. Auch hat die Kartellbehörde zu prüfen, ob das geforderte Netznutzungsentgelt als solches missbräuchlich übersetzt ist.
5. Hat sich das betroffene Unternehmen zur Kalkulation seiner Netznutzungsentgelte des betriebswirtschaftlich anerkannten Konzepts der Preisfindungsprinzipien gem. Anlage 3 der Verbändevereinbarung Strom II plus bedient, ist der Vorwurf eines preismissbräuchlichen Verhaltens nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB – auch nach dem 31.12.2003 – in der Regel ausgeschlossen.
Verfahrensgang
BKartA (Beschluss vom 17.04.2003; Aktenzeichen B 11-40 100 T 38/01) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Bundeskartellamts vom 17.4.2003 (Az. B 11-40 100 T 38/01) aufgehoben.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Betroffenen in diesem Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden dem Bundeskartellamt auferlegt.
III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Betroffene ist als kommunales Unternehmen auf dem Gebiet der Elektrizitätsversorgung tätig. Sie betreibt das Mittel- und Niederspannungsnetz in der Stadt Mainz sowie in angrenzenden Gemeinden des Landes Hessen. Der Stromvertrieb erfolgt seit Anfang des Jahres 2000 durch das mit der H. AG, Darmstadt, gegründete Gemeinschaftsunternehmen E. Das Hochspannungsnetz einschließlich der Umspannung zu Mittelspannung wird von der Kraftwerke M AG betrieben, die über eigene Stromerzeugungskapazitäten verfügt. Die Kraftwerke M. AG geben Strom an die E. KG ab, die wiederum Lieferantin der E. ist.
Die Betroffene stellt ihr Leitungsnetz dritten Unternehmen zur Durchleitung von Elektrizität zur Verfügung. Die hierfür erhobenen Netznutzungsentgelte ermittelt sie nach den Preisfindungsprinzipien der Anlage 3 der Verbändevereinbarung Strom II plus (VV Strom II plus). Das Bundeskartellamt beanstandet die von der Betroffenen verlangten Netznutzungsentgelte unter den rechtlichen Gesichtspunkten einer missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung sowie einer unbilligen Behinderung als überhöht. Durch die im Beschlussweg ergangene Verfügung vom 17.4.2003 untersagte es der Betroffenen, in den Netzebenen Mittelspannung, Umspannung Mittel- zu Niederspannung und Niederspannung Netznutzungsentgelte (NNE) zu erheben, die zu einem Erlös führen, welcher den Betrag von 40.800.000 Euro (zzgl. Umsatzsteuer, Konzessionsabgaben, Mehrbelastungen aus dem KWK-Gesetz und Erlösen aus Messentgelten) im Jahr überschreitet.
Das Bundeskartellamt begründete dies auf der Grundlage einer Untersuchung der Erlöse pro Kilometer Netzleitung, der es den Vorzug vor einer allein auf den Betrag der Netznutzungsentgelte und/oder einzelne Abnahmefälle bezogenen Überprüfung gab (vgl. den Beschlussabdruck S. 15 ff.). Die Erlöse der Betroffenen verglich es im Rahmen einer Vergleichsmarktbetrachtung mit jenen, die das regionale Stromversorgungsunternehmen RWE Net AG (nunmehr RWE E AG) durch die Nutzung seines Stromverteilnetzes erzielte. Die betriebswirtschaftlichen Basisdaten entnahm das Bundeskartellamt den Geschäftsjahren 2001 (für die Betroffene) und 2000 bis 2001 (in Bezug auf die RWE Net AG), wobei es das seit dem 1.9.2002 und aktuell noch gültige (seinerzeit ermäßigte) Tarifgefüge der...