Leitsatz (amtlich)
Zur Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens im Loveparade-Verfahren.
Normenkette
StPO §§ 203, 207 Abs. 1; StGB §§ 222, 229, 340; StPO § 210 Abs. 3 S. 1
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10. Februar 2014 wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung hat vor der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg stattzufinden.
Die sofortigen Beschwerden der Nebenkläger zu 4, 5, 6, 9, 12, 22, 23, 30 und 31 werden als unzulässig verworfen, soweit damit die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Angeschuldigten G., H., I. und J. angefochten worden ist.
Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst und bleibt der abschließenden Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.
Gründe
A. Einführung und Ergebnis
Bei der Loveparade-Katastrophe auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs in Duisburg wurden am 24. Juli 2010 21 Menschen getötet und mindestens 652 Menschen verletzt.
Der Einlass auf das (insgesamt eingezäunte) Gelände erfolgte ausschließlich von Süden her über die Karl-Lehr-Straße. Diese verläuft dort in west-östlicher Richtung in einem ca. 400 m langen Tunnel. Der Tunnel ist im Bereich des Ausgangs zur östlichen Rampe 17,93 Meter (westliche Seite) bzw. 17,91 Meter (östliche Seite) breit.
Von dem Tunnel aus führt, im rechten Winkel nach Norden abknickend, eine ansteigende Rampe auf das Veranstaltungsgelände (sog. Rampe Ost). Diese ist am Rampenfuß 26,07 Meter und im Verlauf der Rampe an der planerisch engsten Stelle 18,28 Meter breit.
Zugang und Abgang erfolgten im Gegenverkehr ausschließlich durch den Tunnel und über die Rampe Ost. Eine weiter westlich gelegene kleinere Rampe (sog. Rampe West) sollte laut Anklage erst zu einem späteren Zeitpunkt (ab etwa 18.00 Uhr) im Bedarfsfall ausschließlich zum Abgang vom Gelände genutzt werden.
Der Zugang zu den Tunneleingängen West und Ost erfolgte - zur Steuerung des Personenzuflusses - über sog. Vereinzelungsanlagen, die aus jeweils 16 nebeneinander montierten Durchlässen von jeweils 60 cm Breite, die in Längsrichtung zur Straße aufgestellt wurden, bestanden. Durch Zaunbauten ergaben sich dort quer zur Straße Engstellen von ca. 5,90 Meter (Vereinzelungsanlage West) und ca. 3,00 Meter (Vereinzelungsanlage Ost).
Die Veranstalterin erwartete eine Gesamtbesucherzahl von 485.000 Personen, verteilt über einen Zeitraum von zwölf Stunden, wobei sie von einem ständigen "Kommen und Gehen" der Besucher ausging. (In der Öffentlichkeit wurde zu Werbezwecken eine deutlich höhere Zahl kommuniziert.) Nach der erteilten Genehmigung durfte die auf dem Veranstaltungsgelände zulässige Personenzahl zu keinem Zeitpunkt 250.000 Besucher übersteigen.
I. Anklagevorwürfe
Die Staatsanwaltschaft ist nach dem Ermittlungsergebnis von folgenden Ursachen und Tatumständen ausgegangen:
Zum einen war für die Todes- und Verletzungsfolgen die Ungeeignetheit des von den verantwortlichen Mitarbeitern der Veranstalterin geplanten Zu- und Ausgangssystems, das die erwarteten und am Veranstaltungstag eingetroffenen Besucher nicht sicher bewältigen konnte, ursächlich. Denn aufgrund der unzureichenden Dimensionierung und Ausgestaltung des Zu- und Ausgangssystems von den beiden Vereinzelungsanlagen über die Tunnelabschnitte West und Ost (Karl-Lehr-Straße) auf die Rampe Ost musste es - auch wegen der mangels getrennter Zu- und Ausgangswege bestehenden Gegenstromproblematik und der am Rampenkopf zu erwartenden Rückstaubildung - zwangsläufig zu lebensgefährlichen Menschenverdichtungen kommen.
Zum anderen war die Rampe Ost am Veranstaltungstag nicht frei von Hindernissen. Vielmehr verengten genehmigungswidrige Zaunbauten die für Veranstaltungsbesucher nutzbare Wegbreite auf 10,59 Meter, was den Personendurchfluss weiter erheblich reduzierte und die Entstehung der tödlichen Menschenverdichtung begünstigte.
Schon angesichts der regulären Durchgangsbreite der Rampe Ost (18,28 Meter an der engsten Stelle) hätten die erwarteten Besucherströme unter keinen Umständen sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs geführt werden können. So ging die Besucherprognose der Veranstalterin für den Zeitraum von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr von folgenden Zu- und Abgängen pro Stunde aus:
Uhrzeit |
Zustrom |
Abstrom |
14.00-15.00 |
55.000 |
10.000 |
15.00-16.00 |
55.000 |
50.000 |
16.00-17.00 |
55.000 |
45.000 |
17.00-18.00 |
90.000 |
55.000. |
Zudem war die Dimensionierung der Vereinzelungsanlagen unzureichend, um einen sicheren Durchfluss der Besucherströme zu gewährleisten. Vielmehr wiesen die Einlassbereiche Engstellen von nur ca. 5,90 Meter (Vereinzelungsanlage West) und ca. 3,00 Meter (Vereinzelungsanlage Ost) auf. Deshalb war auch vor den Einlassbereichen mit massiven Personenstaus zu rechnen, wodurch die Gefahr eines Überrennens der Vereinzelungsanlagen gegeben war.
Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sind die vier wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeschuldigten Mitarbeiter der...