Leitsatz (amtlich)
1. Zur Bindungswirkung einer wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament bei nicht getroffenem Änderungsvorbehalt (hier: Berufung des gemeinsamen Sohnes) mit dem Tode eines Ehepartners.
2. Zur Auslegung der Erklärung "Der Überlebende von uns ist durch dieses Testament nicht beschwert oder beschränkt und kann in jeder Weise frei verfügen." (hier im Sinne einer Klarstellung der gegenseitigen Vollerbeneinsetzung, mithin eines Bezuges auf lebzeitige Rechtsgeschäfte).
3. Zum auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gegründeten Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts wegen vorangegangener Beratung des Erblassers in dessen erbrechtlichen Angelegenheiten und den Voraussetzungen einer Entbindung durch die Erben unter Beachtung der höchstpersönlichen Sphäre des Verstorbenen.
Normenkette
BGB § 1922 Abs. 1, § 2270 Abs. 1, § 2271 Abs. 2 S. 1, § 2289 Abs. 1 S. 2 analog; FamFG § 29 Abs. 2; ZPO § 383 Abs. 1 Nr. 6, § 385 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Mülheim a.d. Ruhr (Aktenzeichen 4 VI 573/16) |
Tenor
Das Rechtsmittel wird auf Kosten der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen.
Geschäftswert: 100.000 EUR.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 2. ist das einzige Kind der Erblasserin und ihres 2005 vorverstorbenen Ehemannes. Unter dem 15. Dezember 2004 errichteten die Eheleute ein eigenhändiges gemeinschaftliches Testament. Dieses lautete - in Ziffer 2.) - unter anderem:
"1) Wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein.
2) Der Überlebende von uns ist durch dieses Testament nicht beschwert oder beschränkt und kann in jeder Weise frei verfügen.
3) Sollten wir beide gleichzeitig bzw. einer von uns vorversterben, so soll unser Erbe unser gemeinsamer Sohn .... [der Beteiligte zu 2.] sein.
4) Zu unserem Nachlass gehört eine Grundbesitzung, ...
5) Wir ordnen hiermit an, dass unser Erbe, ...[der Beteiligte zu 2.] die Grundbesitzung zu seinen Lebzeiten weder veräußern noch verschenken darf. Sollte der Erbe hiergegen verstoßen, soll .... [dessen Tochter, die Enkelin der Eheleute] die Grundbesitzung erhalten. Dies gilt auch für den Fall des versuchten Verstoßes gegen diese Anordnung.
6) Sollte unser Sohn seinen Erbteil bereits beim Tode des Vorversterbenden geltend machen, so erhält er nur seinen Pflichtteil. In diesem Fall wird .... [die Enkelin] unsere Erbin."
Mit einem weiteren eigenhändigen Testament vom 20. März 2015 bestimmte die Erblasserin die Beteiligte zu 1. zu ihrer Alleinerbin und verwies den Beteiligten zu 2. ausdrücklich auf den Pflichtteil; außerdem setzte sie Vermächtnisse aus.
Unter Berufung auf die letztwillige Verfügung aus dem Jahre 2015 hat die Beteiligte zu 1. einen sie als Alleinerbin nach der Erblasserin ausweisenden Erbschein beantragt. Diesen Antrag hat das Nachlassgericht durch die angefochtene Entscheidung zurückgewiesen. Gegen den ihr am 14. Juni 2017 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1. mit ihrem am 10. Juli 2017 bei Gericht eingegangenen Rechtsmittel, dem der Beteiligte zu 2. entgegentritt.
Das Nachlassgericht hat einen Zeugen vernommen, sodann mit weiterem Beschluss vom 31. August 2017 dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachlassakte sowie der Testamentsakte .... AG Mülheim a.d.Ruhr Bezug genommen.
II. Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1., das infolge der vom Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe dem Senat zur Entscheidung angefallen ist (§ 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. FamFG), ist als befristete Beschwerde statthaft und insgesamt zulässig (§§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs.1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG).
In der Sache jedoch bleibt es ohne Erfolg. Zu Recht hat das Nachlassgericht das Testament der Erblasserin von 2015 - auf das sich die Beschwerdeführerin einzig stützen kann - wegen Verstoßes gegen die Bindungswirkung einer wechselbezüglichen Verfügung des gemeinschaftlichen Testaments als gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB analog (dazu Palandt-Weidlich, BGB, 77. Aufl. 2018, § 2271 Rdnr. 12 m.w.Nachw.) unwirksam angesehen.
1. Gründe, die Gültigkeit des gemeinschaftlichen Testaments von 2004 zu bezweifeln, werden weder von den Beteiligten geäußert, noch sind solche ersichtlich.
Die Berufung des gemeinsamen Sohnes stellt eine wechselbezügliche Verfügung, § 2270 Abs. 1 BGB, dar. Auch das wird von den Beteiligten nicht bezweifelt. In der Tat spricht hier wie regelmäßig alles dafür, dass jedenfalls der erstversterbende Ehegatte den anderen nicht zu seinem Alleinerben berufen hätte, hätte letzterer als Überlebender nicht den Beteiligten zu 2. als Schlusserben - sowie die Enkelin in bestimmten Fällen als Ersatzschlusserbin - eingesetzt. Wer, wie hier, sein Vermögen letztendlich an das eigene Kind weitergeben will, dieses gleichwohl für den ersten eigenen Todesfall enterbt, tut das regelmäßig im Bewusstsein und Vertrauen darauf, dass wegen der Schlusserbeneinsetzung des anderen Ehegatten das gemeinsame Vermögen eines Tages auf jenen Abkömmling ...