Leitsatz (amtlich)
1. Beantragt der Verteidiger bei der Bußgeldbehörde die Übersendung von Messdaten und Unterlagen zu einer durchgeführten Messung, ist ein für den Fall der Nichtherausgabe vorab gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) nicht statthaft.
2. Der Umstand, dass das Messgerät geeicht war, impliziert, dass der Eichbehörde die Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung vorgelegen haben und das Messgerät ordnungsgemäß in den Verkehr gebracht worden ist.
Normenkette
StPO §§ 261, 344 Abs. 2 S. 2; OWiG §§ 62, 71 Abs. 1, § 80 Abs. 1; MessEG §§ 6, 23 Abs. 3, § 31 Abs. 1, § 37 Abs. 1; MessEV § 37 Abs. 1 S. 1; MessEG § 37 Abs. 4; MessEV Anl. 4 Teil B Modul B; MessEV Anl. 4 Teil B Modul F
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 35 km/h (Bundesautobahn 40, Tatzeit: 28. März 2020) zu einer Geldbuße von 240 Euro verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Bei Verhängung einer Geldbuße von nicht mehr als 250 Euro ohne Nebenfolge ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 OWiG). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
1.
Bei einer Geldbuße von mehr als 100 Euro kommt der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung auch wegen verfahrensrechtlicher Rechtsfragen in Betracht (dazu II.1.a bis II.1.c). Soweit Verfahrensrügen in zulässiger Weise erhoben worden sind, wirft der Fall indes keine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage von praktischer Bedeutung auf.
Auch die Sachrüge bietet keinen Anlass, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (dazu II.1.d).
a) Dass die Bußgeldbehörde einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Falle der Nichtabhilfe dem nach § 68 OWiG zuständigen Gericht vorzulegen hat, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG, § 306 Abs. 2 StPO) und bedarf keiner - so die Antragsschrift - „Grundsatzentscheidung“.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Verteidiger im Verfahren der Bußgeldbehörde keinen statthaften Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt hatte. Er hatte mit Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid um Übersendung diverser Unterlagen (u. a. Konformitätsbescheinigung, Konformitätserklärung) und der digitalen Falldaten gebeten. Am Ende der Einspruchsschrift vom 11. Mai 2020 heißt es:
„Wir gehen davon aus, dass eine Übersendung der Falldaten bis zum 25.05.2020 erfolgt. Sollte eine Übersendung bis dahin nicht erfolgen, stellen wir bereits jetzt den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 2 OWiG.“
Eine Daten-CD mit der digitalen Falldatei, Messfoto-Screenshots und Unterlagen zur Historie des verwendeten Messgerätes (PoliScan M1 HP, Softwareversion 3.7.4) hat der Verteidiger erhalten. Gegenstand des vorab gestellten Antrags auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) war die „Übersendung der Falldaten“, das Messgerät betreffende Unterlagen (u. a. Konformitätsbescheinigung, Konformitätserklärung) waren hier nicht benannt.
Ohnehin ging der bei der Bußgeldbehörde vorab gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) ins Leere, da keine Anordnung, Verfügung oder sonstige Maßnahme der Bußgeldbehörde vorlag, gegen die sich der Rechtsbehelf hätte richten können. Gegen eine Entscheidung, die noch gar nicht erlassen worden ist, kann in statthafter Weise kein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf eingelegt werden (vgl. BGH NJW 1974, 66, 67; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., vor § 296 Rdn. 4), und zwar auch nicht vorsorglich mit künftiger Wirkung (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 1986, 935; OLG Bamberg BeckRS 2017, 102375).
b) Auch zur Frage des von dem Betroffenen geltend gemachten Beweisverwertungsverbotes, das bereits der erforderlichen tatsächlichen Grundlage entbehrt, bedarf es keiner Rechtsfortbildung.
Aus dem Umstand, dass das Amtsgericht die Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung nicht beigezogen hat, möchte der Betroffene nach in der Hauptverhandlung erklärtem Verwertungswiderspruch mit folgenden Erwägungen ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Messfotos und der dort eingeblendeten Datenzeile ableiten:
Mangels Beiziehung der Konformitätsbescheinigung und der Konformitätserklärung sei nicht nachgewiesen, dass das Messgerät nach dem 1. Januar 2015 ordnungsgemäß in Verkehr gebracht worden sei (§ 6 MessEG). Sofern die Bußgeldbehörde ein nicht ordnungsgemäß in Verkehr gebrachtes Messgerät verwende, stelle dies einen Bußgeldtatbestand (§ 60 MessEG) im Hinblick auf die Beweisgewinnung dar. Dies beeinträchtige den Betrof...