Entscheidungsstichwort (Thema)
Erklärungen und Nachweise; Nachforderungspflicht; Aufklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff der Erklärungen oder Nachweise ist - gleichviel, ob er auftragsbezogene oder unternehmensbezogene Angaben, Willenserklärungen oder Wissensmitteilungen betrifft - nach dem Zweck der Norm denkbar weit zu verstehen.
2. § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EG bezieht den Anwendungsbereich der Nachforderung ausschließlich auf solche Erklärungen oder Nachweise, die von Bietern bereits mit dem Angebot vorzulegen sind.
3. Der öffentliche Auftraggeber darf Angebote, die bei Vorliegen formaler Mängel jedenfalls im Sinn von § 13 Abs. 1 Nr. 4, § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EG wegen widersprüchlicher Angaben (Erklärungen oder Nachweise) an sich "ausschlusswürdig" sind, nicht ohne Weiteres von der Wertung ausnehmen, ohne das von einem Ausschluss bedrohte Bieterunternehmen zuvor zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufgefordert und ihm Gelegenheit gegeben zu haben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen.
Normenkette
VOB/A-EG § 13 Abs. 1 Nr. 4, § 15 Abs. 1, 3, § 16 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Vergabekammer Westfalen (Beschluss vom 22.05.2015; Aktenzeichen VK 2-14/15) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird dem Antragsgegner unter Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer Westfalen bei der Bezirksregierung Münster vom 22.5.2015 (VK 2-14/15) im Vergabeverfahren "Neubau des Autobahnknotens Löhne der BAB 30, vierter Bauabschnitt der Nordumgehung Bad Oeynhausen" (Bekanntmachungsnummer im EU-Amtsblatt: 2014/S 220-388177) ein Zuschlag untersagt.
Die Kosten des Verfahrens der Vergabekammer sind gesamtschuldnerisch vom Antragsgegner und der Beigeladenen zu tragen, wobei sich der Haftungsanteil der Beigeladenen im Außenverhältnis auf ½ ermäßigt.
Die Aufwendungen der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer haben der Antragsgegner und die Beigeladene je zur Hälfte zu tragen.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten ist für die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig gewesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner. Die Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB werden je zur Hälfte dem Antragsgegner und der Beigeladenen auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 750.000 Euro
Gründe
I. Die Vergabestelle schrieb Bauleistungen beim Autobahnneubau im Raum Bad Oeynhausen im offenen Verfahren aus (Bekanntmachungsnummer im EU-Amtsblatt: 2014/S 220-388177). Zuschlagskriterium ist der niedrigste Preis. Die Antragstellerin gab das preisgünstigste Angebot ab. Den Zuschlag soll dennoch die Beigeladene als zweitbeste Bieterin erhalten, weil die Vergabestelle das Angebot der Antragstellerin wegen widersprüchlicher Erklärungen von der Angebotswertung ausgeschlossen hat.
Den Ausschluss hat die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer erfolglos bekämpft. Auf die Gründe der Entscheidung der Vergabekammer wird verwiesen (Vergabekammer Westfalen bei der Bezirksregierung Münster, Beschluss vom 22.5.2015 - VK 2-14/15).
Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und präzisiert.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den angefochtenen Beschluss aufzuheben und
2. dem Antragsgegner aufzugeben, die Entscheidung über den Ausschluss ihres, der Antragstellerin, Angebots zurückzunehmen und das Angebot bei der Wertung zu berücksichtigen.
Der Antragsgegner beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner verteidigt den Beschluss der Vergabekammer.
Die Beigeladene hat sich schriftsätzlich gegen einen Erfolg des Antrags auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels ausgesprochen, am Beschwerdeverfahren aber nicht teilgenommen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die Anlagen sowie auf die Verfahrensakten der Vergabekammer und die beigezogenen Vergabeakten Bezug genommen.
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Dies führt dazu, dass die Vergabestelle ohne Einbeziehen des Angebots der Antragstellerin in die Angebotswertung einen Zuschlag nicht erteilen darf.
1. Der Entscheidung ist als außer Streit stehend zugrundezulegen:
Bei der Ausführung des Auftrags sind nach mehreren Positionen des Leistungsverzeichnisses (LV) Traggerüste zu planen und herzustellen. Im Angebot erklärte die Antragstellerin sinngemäß im beigefügten Verzeichnis der Leistungen anderer Unternehmer (Nachunternehmerleistungsverzeichnis):
- Planungsleistungen (Statikerleistungen) zu Ordnungsziffern 2.7.1 und 3.7.1 (PLAN genannt): durch Nachunternehmer;
- Ausführungsleistungen zu Ordnungsziffern 2.7.1 (TRG genannt): durch Nachunternehmer.
Im Übrigen wollte die Antragstellerin unter den vorgenannten Positionen Eigenleistungen erbringen. Firmen oder Namen der Nachunternehmer waren mit dem Angebot nicht bekanntzugeben.
Nach Eröffnung der Angebote forderte die Vergabestelle die Antragstellerin ...