Leitsatz (amtlich)
1. Verfolgt der in einem Erbvertrag seiner Mutter und seines Stiefvaters begünstigte Abkömmling nach dem Tod der Mutter unter Hinweis auf seine Stellung als gesetzlicher Erbe seinen Anspruch gegen den Stiefvater und schlägt er als einvernehmliche Lösung die Zahlung einer Abfindung "unter Verzicht auf die Rechte aus dem Erbvertrag" vor, so kann hierin die Geltendmachung des Pflichtteils liegen.
2. Macht der Abkömmling den Pflichtteil zunächst ohne Kenntnis der in einer überarbeiteten Fassung des Erbvertrages enthaltenen Pflichtteilssanktionsklausel geltend und verfolgt er den Pflichtteilsanspruch bei späterer Kenntniserlangung weiter, so gewinnt die (Weiter-) Verfolgung des Pflichtteils die rechtliche Qualität einer bewussten Geltendmachung in Kenntnis (auch der neuesten Fassung) der Verwirkungsklausel und löst die Bedingung für den Fortfall der Erbeinsetzung aus.
Normenkette
BGB §§ 2075, 2303, 2353, 2359
Verfahrensgang
AG Neuss (Beschluss vom 09.06.2010; Aktenzeichen 137 VI 416/09) |
Tenor
Das Rechtsmittel wird auf Kosten des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstandes 28.050 EUR
Gründe
I. Der Beteiligte zu 1 ist der Stiefsohn des am 30.7.2008 verstorbenen Erblassers. Die Beteiligten zu 4 und 5 sind leibliche Abkömmlinge des Erblassers. Die Beteiligten zu 1 und 3 sind leibliche Abkömmlinge der am 16.12.2005 verstorbenen B. M., die in zweiter Ehe mit dem Erblasser verheiratet war. Beide hatten - neben den vorerwähnten leiblichen Abkömmlingen aus früheren Verbindungen - ein gemeinsames Kind, nämlich die Beteiligte zu 2.
Die Eheleute M. hatten diverse gemeinsame letztwillige Verfügungen errichtet: Der nach dem Tod der Ehefrau am 28.3.2006 eröffnete notarielle Erbvertrag vom 4.2.1978 bestimmte die gegenseitige alleinige Erbeinsetzung des Längstlebenden der Eheleute; der Überlebende berief zu seinen Erben zu gleichen Teilen die jeweiligen Kinder der Eheleute aus deren früheren Verbindungen sowie das gemeinsame Kind, die Beteiligte zu 2; "sollte eines der fünf Kinder oder ihrer Abkömmlinge den Pflichtteil nach dem Erstverstorbenen verlangen, so erhält es aus dem Nachlass des Letztverstorbenen ebenfalls nur noch den Pflichtteil." (§ 4 des Erbvertrages).
Von dieser Verfügung erhielt der Beteiligte zu 1 im April 2006 Kenntnis durch das Nachlassgericht.
Mit weiterem notariellem Vertrag vom 12.1.1994 - eröffnet nach der Ehefrau (B. M.) durch das AG Neuss am 4.5.2006 - wurde § 4 unter Bezugnahme auf die vorerwähnte Urkunde aus dem Jahre 1978 klarstellend wie folgt neu gefasst:
"Verlangt eines der erstehelichen Kinder oder deren Abkommen vom Überlebenden von uns das gesetzliche Pflichtteilsrecht, so soll dieses Kind für sich und seine Abkommen von der Erbfolge nach dem Zuletztverstorbenen ausgeschlossen sein. Da diesem Kind ein Pflichtteilsrecht nach dem Letztversterbenden gesetzlich nicht zusteht, soll es demnach kein Pflichtteilsrecht erhalten. Soweit die in § 4 der bezogenen Urkunde enthaltene Bestimmung dem entgegensteht, wird sie von uns hiermit aufgehoben. Alle übrigen Bestimmungen der bezogenen Urkunde bleiben unverändert bestehen."
Schließlich bestimmten die Eheleute mit notariell beurkundetem Ehe- und Erbvertrag vom 9.6.2005 Folgendes:
"...
(2) Aufhebung früherer Verfügungen
Verfügungen von Todes wegen, die wir etwa bisher gemeinsam oder einzeln errichtet haben, heben wir hiermit auf.
(3) Erbfolge nach dem Zuerstversterbenden
Der Zuerstversterbende von uns setzt den Überlebenden zu seinem alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Diese Bestimmung soll unabhängig davon gelten, ob und welche Pflichtteilsberechtigten beim Tode des Erstversterbenden von uns vorhanden sein werden.
(4) Erbfolge nach dem Überlebenden, gleichzeitiges Ableben
Jeder von uns beruft, sowohl für den Fall, dass er der Überlebende von uns ist, als auch für den Fall, dass wir gleichzeitig versterben oder in gemeinsamer Gefahr hintereinander umkommen, zu seinen alleinigen Erben,
a) die Kinder des Ehemannes aus dessen erster geschiedener Ehe mit H. M.
geborene H.,
aa) H. M.,... zu 1.650/10.000 Anteil;
bb) G. E. geborene M.,... zu 1.650/10.000 Anteil;
die Kinder der Ehefrau aus ihrer ersten geschiedenen Ehe mit S. W.
aa) C. S. geborene W.,... zu 2.525/10.000 Anteil;
bb) J. W.,... zu 1.650/10.000 Anteil;
c) das gemeinsame Kind der Beteiligten,
M. M.,... zu 2.525/10.000 Anteil ..."
Die Schlussbestimmungen unter Ziff. 6 regeln u. A. Folgendes:
"... Unsere Erklärungen über die gegenseitige Erbeinsetzung nehmen wir erbvertragsmäßig bindend wechselseitig an; ein vertragliches Recht zum einseitigen Rücktritt von dieser Bestimmung will sich keiner von uns vorbehalten.
Die weiteren Verfügungen sollen nur testamentarisch wirken und jederzeit einseitig widerruflich sein.
Verlangt eines der erstehelichen Kinder des Erstversterbenden oder deren Abkömmlinge bzw. das gemeinsame Kind der Beteiligten oder dessen Abkömmlinge vom Überlebenden von uns das gesetzliche Pflichtteilsrecht nach dem Erstversterbenden, so soll dieses Kind für sich und seine Abkömml...