Leitsatz (amtlich)

Da die Europäische Kommission im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 108 AEUV mit Beschluss vom 28.05.2018 entschieden hat, dass die auf Grundlage des § 19 Abs. 2 StromNEV in der Fassung vom 04.08.2011 für die Jahre 2012 und 2013 gewährte vollständige Befreiung von Netznutzungsentgelten eine rechtswidrige Beihilfe im Sinne des Art. 107 AEUV beinhaltet und eine nachträgliche Genehmigung der Beihilfe abgelehnt hat, unterliegen die zu Gunsten von Letztverbrauchern genehmigten unbefristeten Befreiungen von den Netzentgelten der Rückforderung. Die Rückforderungsbeträge sind auf der Basis des vor der Einführung der unionsrechtswidrigen Netzentgeltbefreiung in Deutschland herrschenden Privilegierungsregimes zu ermitteln und entsprechen dem individuellen Netzentgelt, das der Netznutzer nach Maßgabe dieser Regelung hätte zahlen müssen.

Die Ermittlung des individuellen Netzentgelts erfolgt nach der Methode des physikalischen Pfades. Ausgehend vom betreffenden Netzanschlusspunkt des Letztverbrauchers wird eine fiktive Leitungsnutzung bis zu einer geeigneten Stromerzeugungsanlage auf bereits bestehenden Trassen berechnet. Kann der physikalische Pfadmangels einer geeigneten Stromerzeugungsanlage nur zu einem Netzknoten gebildet werden, so sind dessen Kosten und zusätzlich die Kosten des vorgelagerten Netzes zu berechnen.

Ebenso wie bei einer rein nationalen Anschlusssituation setzt die Bildung eines grenzüberschreitenden physikalischen Pfades die vollständige Ermittlung der Betriebskosten der in dem Pfad genutzten Betriebsmittel und damit die Kenntnis der Netzkosten voraus. Eine Schätzung der Betriebsmittelkosten ist mit dem Konzept des physikalischen Pfads, wonach der individuelle Beitrag zur Netzstabilität als Orientierungsmaßstab für die Bestimmung der individuellen Netzentgelte herangezogen wird, ebenso unvereinbar wie die Bildung eines physikalischen Pfads zur nächstgelegenen Grenzkuppelstelle unter Fiktion einer dort gelegenen geeigneten Erzeugungsanlage.

Bei der Bildung eines physikalischen Pfades zu einer Grenzkuppelstelle sind die Kosten für das ausländische Netz bzw. die ausländischen Betriebsmittel in Ansatz zu bringen. Anderenfalls würde die Beschwerdeführerin besser gestellt als Letztverbraucher, für die mangels einer geeigneten Erzeugungsanlage im Netzgebiet der physikalische Pfad zu einem nationalen Netzknotenpunkt zu bilden ist.

Bei der Ermittlung des Rückforderungsbetrages ist die nationale Übergangsregelung des § 32 Abs. 7 i.V.m. § 19 Abs. 2 S. 2 und 3 StromNEV jeweils in der Fassung vom 14.08.2013 nicht anzuwenden. Eine ungerechtfertigte Schlechterstellung derjenigen Letztverbraucher, deren Netzentgeltbefreiungen für die Jahre 2012 und 2013 in dem Umfang zurückgenommen werden, in dem ohne die Befreiung individuelle Netzentgelte hätten gezahlt werden müssen, ergibt sich dadurch nicht.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 25.09.2018, Az.: BK6-11-353A01, wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen der Bundesnetzagentur. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf ... Euro festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Beschwerdeführerin, die Rechtsnachfolgerin der S GmbH ist, betreibt an ihrer Abnahmestelle in R eine Saline. Die Saline befindet sich im unmittelbaren Grenzgebiet. Anschlussnetzbetreiber der Saline ist die Beteiligte. Diese betreibt ein Elektrizitätsversorgungsnetz, das sich über die Regionen ... erstreckt und die Netzebenen Hoch-, Mittel- und Niederspannung sowie die Umspannebenen Höchst- in Hochspannung, Hoch- in Mittelspannung und Mittel- in Niederspannung umfasst.

Die Saline ist auf der Netzebene Mittelspannung an das Umspannwerk R der Beteiligten angeschlossen. Das Umspannwerk R ist über die Netzebene Hochspannung an das Umspannwerk I angebunden. Hier betreibt die Beteiligte ein kleines Hochspannungsnetz, das vom Hochspannungsnetz des ausländischen Netzbetreibers abzweigt und über die Grenze in unmittelbarer Nähe zum Umspannwerk I auf deutscher Seite verläuft. Zu dem Hochspannungsnetz der Beteiligten südlich und östlich des ...Sees besteht keine physikalische Verbindung. Auf deutscher Seite liegt keine geeignete Erzeugungsanlage, die als Schlusspunkt des physikalischen Pfades herangezogen werden könnte.

Nach den Angaben der Beschwerdeführerin erfolgt die Stromversorgung der Saline physikalisch aus Grundlastkraftwerken der Kraftwerke A AG in ... (Ausland), die den darin erzeugten Strom in das Mittelspannungsnetz des ausländischen Netzbetreibers einspeisen. Bei den nächstgelegenen Kraftwerken handelt es sich um das in der Stadt A liegende Heizkraftwerk A Mitte, das ca. 15-20 km Luftlinie von der Saline entfernt ist. Dieses Heizkraftwerk mit GuD-Anlage wurde im Jahr ... in Betrieb genommen und verfügt über eine Engpassleistung St...

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