Leitsatz (amtlich)

1. Da das Bundesministerium der Verteidigung zum Zweck der Organisation des Bekleidungswesens der Bundeswehr das gesamte operative Versorgungsgeschäft (Einkauf, Lagerung, Verteilung, Transport, Service vor Ort, Aufbereitung) für mehrere Jahre (hier 12 und optional bis zu 16 Jahre) mit einem zuvor Europaweit ausgeschriebenen Leistungsvertrag auf eine juristische Person des privaten Rechts zu übertragen geplant hat, die auf Grund der Vergabebedingungen für den Leistungsvertrag von dem im Vergabeverfahren obsiegenden Bieter (Bieterkonsortium) gegründet werden sollte, ist die juristische Person – nach Ausführung des Plans – „zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen”. Unerheblich ist es, dass die hinter der juristischen Person stehenden privaten Investoren mit der Gründung der juristischen Person und mit der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben privatwirtschaftliche Ziele (Gewinnerzielung) verfolgen.

2. Das Merkmal der „nicht gewerblichen Art” i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB bezieht sich auf die zu erfüllende im Allgemeininteresse liegende Aufgabe und nicht auf die juristische Person, die die Aufgabe erfüllen soll. Eine im Allgemeininteresse liegende organisatorische Aufgabe i.V.m. einer Nachfragetätigkeit für staatliche Zwecke, auf deren Erfüllung der Staat einen entscheidenden Einfluss behalten möchte oder auf Grund gesetzlicher Vorschrift behalten muss, ist eine Aufgabe „nicht gewerblicher Art”.

3. Eine Gebietskörperschaft (§ 98 Nr. 1 GWB) übt die Aufsicht über die Leitung einer juristischen Person (i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB) aus, wenn nach den zwischen der Gebietskörperschaft und der juristischen Person bestehenden Regelungen bei einer Wertung in ihrer Gesamtheit tatsächlich eine Aufsicht durch die Gebietskörperschaft in einem Ausmaß besteht, die es dieser ermöglicht, die Entscheidungen der juristischen Person auch in Bezug auf deren Aufträge zu beeinflussen. Ein solches Wertungsergebnis wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Gebietskörperschaft in den Entscheidungsgremien der juristischen Person (Gesellschafterversammlung, Geschäftsführung, Aufsichtsrat) personell nur mit einer Minderheit vertreten ist. Für das Ergebnis der Wertung der gesamten Regelungen kann es bedeutsam sein, dass die Gebietskörperschaft auf Grund von Rechtsnormen (hier: Art. 87b Abs. 1 S. 2 GG, § 2 Nr. 3 VOL/A) verpflichtet ist, die Aufgabenerfüllung durch die juristische Person zu kontrollieren.

4. Die überwiegende Finanzierung der juristischen Person kann auch dadurch bewirkt werden, dass eine Gebietskörperschaft der juristischen Person für die Erbringung der im Allgemeininteresse liegenden Unternehmensleistung insgesamt unentgeltlich Personal beistellt und unentgeltlich Liegenschaften zur Benutzung zur Verfügung stellt, wenn diese in Geld zu bewertenden Beiträge die übrigen Unternehmensaufwendungen der juristischen Person übersteigen. Auf die Motivation der Beteiligten für die unentgeltliche Beistellung von Personal und sachlichen Mitteln kommt es nicht an.

5. § 97 Abs. 6 GWB enthält eine zureichende gesetzliche Ermächtigung für § 13 S. 6 VgV.

6. Die Anwendbarkeit des § 13 VgV hängt nicht von der vorherigen Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens ab. Nach dem Wortlaut des § 13 VgV muss es sich nur um ein Verfahren handeln, in dem es Bieter und Angebote gibt. § 13 VgV gilt in allen seinen Bestimmungen auch für Verhandlungsverfahren; dabei kommt es nicht darauf an, ob das Verhandlungsverfahren tatsächlich mit oder ohne veröffentlichte Vergabebekanntmachung eingeleitet und durchgeführt worden ist. Denn die Anwendbarkeit des § 13 VgV richtet sich nach der objektiven Rechtslage. Der Irrtum eines als Nachfrager handelnden Unternehmens über seine öffentliche Auftraggebereigenschaft ist unerheblich.

7. Ist der öffentliche Auftraggeber auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls verpflichtet, einem Unternehmen den Bieterstatus einzuräumen, so ist dieses Unternehmen (schon auf Grund dieser Verpflichtung) in den Schutzbereich des § 13 VgV einbezogen. Das bedeutet, dass ein mit einem anderen Bieter geschlossener Vertrag, dem keine Information an das (auch) geschützte Unternehmen vorausgegangen war, gem. § 13 S. 6 VgV nichtig ist.

 

Normenkette

GG Art. 87b; GWB § 97 Abs. 6, § 98 Nr. 2; GWB § VgV; GWB § 13; VOL/A § 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

BKartA (Beschluss vom 12.12.2002; Aktenzeichen VK 1 - 83/02)

 

Tenor

Die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin zu 1) und der Beigeladenen zu 1) gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 12.12.2002 (Az.: VK 1 – 83/02) werden zurückgewiesen.

Von den im Beschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin werden die (etwaigen) Mehrkosten, die durch den Antrag der Beigeladenen zu 1) auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde (Antrag zu 3) ihrer Beschwerdeschrift) entstanden sind, vorab der Beigeladenen zu 1) auferlegt.

Von den übrigen im Beschwerdeverfahren entst...

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