Dr. Hendrik Thies, Stephanie von Riegen
Zusammenfassung
Hersteller dürfen Händlern keine Wiederverkaufspreise vorgeben, aber nicht jeder Hinweis auf die gewünschte Preisstrategie ist unzulässig. Ist der Abnehmer mächtiger als der Lieferant, gelten höhere Anforderungen an die Annahme kartellrechtswidriger Druckausübung durch Hinweise auf unverbindliche Preisempfehlungen oder gewünschte preisliche Produktpositionierung.
Hintergrund
Der Möbelhersteller Cor und der Online-Händler Reuter schlossen einen Vertriebsvertrag, wodurch Cor seine Produkte erstmals auch online vermarkten ließ. Reuter gewährte Endkunden mehrfach Rabatte von bis zu 25 % auf die unverbindliche Preisempfehlung (UVP) von Cor. Darüber beklagten sich stationäre Händler bei Cor und drohten mit der Kündigung ihrer Vertriebsverträge. Cor sprach die Preissetzung gegenüber Reuter an und bat um Berücksichtigung seiner Interessen und derjenigen der stationären Händler. Reuter setzte seine bisherige Preispolitik jedoch überwiegend fort. In dieser Zeit generierte Reuter einen Jahresumsatz von ca. EUR 200 Mio. und Cor unter EUR 30 Mio. Die Cor-Produkte machten 0,1 % von Reuters Gesamtumsatz aus.
Nachdem Cor den Vertrag mit Reuter kündigte, klagte Reuter auf Schadensersatz aus behaupteter kartellrechtswidriger Preisbindung. Cor habe während der Vertragslaufzeit durchgängig das Preissetzungsverhalten von Reuter überwacht und Reuter aufgefordert, die von Cor vorgegebenen unverbindlichen Preisempfehlungen einzuhalten und keine höheren Rabatte als 5-6% zu gewähren. Reuter seien dadurch erhebliche Gewinne entgangen. Das Landgericht wies die Klage ab, Reuter legte daraufhin Berufung ein.
Das Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.09.2019, Az. U (Kart) 3/19
Auch die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG Düsseldorf verneinte eine rechtswidrige Einwirkung von Cor auf die Preissetzungsfreiheit von Reuter. Nach § 21 Abs. 2 GWB sind das Androhen und Zufügen von Nachteilen sowie das Versprechen oder Gewähren besonderer Vorteile für ein Verhalten, das im Falle vertraglicher Abrede einen Kartellverstoß bedeutet, selbst kartellrechtswidrig. Dieses Umgehungsverbot umfasst auch Verhaltensweisen, die faktisch eine kartellrechtswidrige Preisbindung bedeuten. Vorliegend habe jedoch keine unzulässige Druckausübung durch Androhen einer Liefersperre oder einer Kündigung durch Cor vorgelegen.
Das OLG bestätigte die Auffassung des Bundeskartellamts, dass für die Beurteilung einer unzulässigen Druckausübung das Machtgefälle zwischen den Beteiligten zu berücksichtigen ist. Je größer das Machtgefälle sei, desto zurückhaltender könne sich der Drohende äußern, ohne den Effekt seiner Drohung aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers zu schmälern. Außerdem könne nicht ohne Weiteres und immer schon dann, wenn Lieferant und Abnehmer über die Preisbildung des letzteren sprechen, von einer kartellrechtlich verbotenen Einwirkung auf die Willensbildungs- und Entscheidungsfreiheit des angesprochenen Unternehmens ausgegangen werden. Vielmehr liege ein Verstoß gegen § 21 Abs. 2 GWB erst dann vor, wenn eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ergebe, dass von dem Abnehmer ein bestimmtes Preissetzungsverhalten erwartet werde und er bei Nichtbeachtung Nachteile zu befürchten habe. Ist der Abnehmer weitaus mächtiger als der Lieferant, seien die Anforderungen an eine konkludente Nachteilsandrohung nicht gerade gering zu bemessen.
Vorliegend war Reuter weit umsatzstärker und von einer Belieferung durch Cor unabhängig, so dass Cor nur schwerlich in der Lage gewesen sei, Druck auf Reuter auszuüben. Auch deshalb habe Reuter Rabatte bis zu 25 % gewährt, ohne auf die Preisvorstellungen von Cor Rücksicht zu nehmen. Reuter habe sich also gerade nicht in der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt gefühlt. Ist der Lieferant das deutlich kleinere Unternehmen, könne seine Bitte um eine maßvolle Preispolitik und eine Rücksichtnahme auf seine Belange bei der Preisfestsetzung nicht zu einer unzulässigen Einflussnahme auf die Preisbildung des Abnehmers führen.
Mit seiner Entscheidung misst das OLG Düsseldorf der Umsetzung von UVP im Handel eine erhebliche Bedeutung bei und stellt höhere Anforderungen an eine unzulässige Druckausübung als das Bundeskartellamt. Unstreitig ist das Aussprechen von UVP durch den Hersteller erlaubt, auch die einmalige Erläuterung der eigenen UVP durch den Hersteller ist kartellrechtskonform. Gerade kleinere und mittlere Lieferanten dürfen aber gegenüber einem großen Abnehmer im Jahresgespräch oder auch unterjährig auf ihre UVP hinweisen, um einer Gefährdung ihrer Marke oder des Produktimage durch erhebliche Rabatte entgegenzuwirken. Eine bloße Bitte um Berücksichtigung der Belange des viel kleineren und ohne weiteres ersetzbaren Lieferanten kann dann regelmäßig nicht als unzulässige Drohung aufgefasst werden.
Nicht jedes Gespräch über Preise ist damit während laufender Vertragsbeziehungen unzulässig. Klar bleibt aber auch: Die Androhung einer Liefersperre bei unerwünschtem Preisverhalten ist in...