Leitsatz (amtlich)
1. Der Bürge hat nach Erfüllung der Bürgschaftsschuld einen Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde aus einer entsprechenden Anwendung des den Schuldschein betreffenden § 371 BGB (Anschluss an OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 668); wegen dieses Anspruchs kann er ggü. dem Erfüllungsverlangen des Gläubigers ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB geltend machen.
2. Dieses Zurückbehaltungsrecht stellt eine Einrede des Bürgen mit der Rechtsfolge des § 274 BGB dar; der Gläubiger muss die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde dagegen bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern für eine formal ordnungsgemäße Inanspruchnahme des Bürgen nicht von sich aus anbieten, wenn nichts Abweichendes vereinbart ist.
3. Der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verpflichtete Bürge kann seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formale Rechtsstellung offensichtlich missbraucht. Das ist nur dann der Fall, wenn es offen auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist, dass der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist (st. Rspr. des BGH).
4. Alle Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, sind bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht im Erstprozess, sondern im Rückforderungsprozess auszutragen; damit ist im Urkundenprozess nicht das Nachverfahren des § 600 ZPO gemeint, sondern der auf Rückzahlung der Bürgschaftssumme gerichtete Prozess nach Zahlung durch den Bürgen.
5. Diese Grundsätze gelten auch für die Einwendung des Bürgen, die Verpflichtung des Hauptschuldners zur Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern sei deshalb unwirksam, weil sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sei.
6. Im Einzelnen ausgehandelt i.S.d. § 1 Abs. 2 AGBG a.F. (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB n.F.) kann eine Vertragsklausel insb. im unternehmerischen Geschäftsverkehr im Einzelfall auch dann sein, wenn sie selbst als Ergebnis der Vertragsverhandlungen unverändert bleibt.
7. Beruft sich der Schuldner erst nach Eintritt des Verzuges auf ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB, wird der bereits eingetretene Verzug nicht ohne weiteres beseitigt (Anschluss BGH, Urt. v. 6.6.2000 - X ZR 48/98; NJW 1971, 421).
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 24.10.2003; Aktenzeichen 33 O 14/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.10.2003 verkündete Vorbehaltsurteil der 3. Kammer für Handelssachen des LG Düsseldorf unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 460.000 Euro nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 230.000 Euro für die Zeit vom 10.10. bis zum 9.12.2002 und auf 460.000 Euro seit dem 10.12.2002 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe der "Bürgschaftserklärung" der Beklagten v. 6.11.2001 über 460.000 Euro. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagten bleibt die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Urkundenprozess Zahlung aufgrund einer selbstschuldnerischen Bürgschaft auf erstes Anfordern (Bl. 57 GA, Anlage K 4), die die Beklagte zugunsten der Klägerin für deren eventl. Ansprüche auf Rückzahlung von Werklohn sowie auf Schadensersatz und Vertragsstrafen übernommen hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 195 ff. GA) Bezug genommen.
Das LG hat der Klage mit Urkundenvorbehaltsurteil stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Zur Begründung vertritt die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags die Auffassung, das LG habe nicht berücksichtigt, dass sie - die Beklagte - sich bereits erstinstanzlich auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen habe. Das LG habe weiter verkannt, dass die Klägerin ihre formale Rechtsstellung aus der Bürgschaft offensichtlich missbrauche, was sie - die Beklagte - der Klageforderung entgegenhalten könne. Dies folge daraus, dass die Verpflichtung des Werkunternehmers zur Stellung der Bürgschaft sich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin befinde und deshalb unwirksam sei. Im Übrigen habe die Klägerin die Bürgschaftsforderung auch deshalb ohne rechtlichen Grund erlangt, weil der Werkunternehmer in dem Werkvertrag zur Stellung einer derart weitreichenden, auch Schadensersatzansprüche umfassenden Bürgschaft nicht verpflichtet gewesen sei. Schließlich bestehe auch deshalb keine Bürgschaftsforderung, weil die gesicherte Forderung nicht existiere. Der Werkvertr...