Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsfreiheit des Versicheres wegen grober Fahrlässigkeit bei Verstoß gegen die Sicherheitsvorschrift des § 9 Nr. 2b VGB 62
Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat neigt dazu, die Sicherheitsvorschrift des § 9 Nr. 2b VGB 62, in nicht benutzten Gebäuden die Wasserleitungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten, nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers dahin auszulegen, dass sie nicht nur Schäden durch Nichtbeheizen während der Frostperiode vorbeugen soll, sondern auch Schäden durch Vandalismus oder Materialermüdung zu allen Jahreszeiten.
2. Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Nichtbeachtung der Sicherheitsvorschrift tritt abweichend von § 6 Abs. 1 S. 1 VVG nach § 9 Nr. 1 S. 2 VGB 62 nur ein, wenn der Versicherer den Beweis eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Fehlverhaltens des Versicherungsnehmers einschließlich seiner Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Sicherheitsvorschrift führt.
Normenkette
VVG § 6 Abs. 1 S. 1; VGB 62 § 8 Nr. 2, § 9 Nr. 1 S. 2 und Nr. 2a und b
Verfahrensgang
LG Krefeld (Aktenzeichen 4 O 21/00) |
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das am 4.7.2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Krefeld abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern für den in der Zeit vom 1. bis 8.8.1999 in dem Haus … eingetretenen Leitungswasserschaden Versicherungschutz gemäß den Bedingungen des mit dem früheren Eigentümer des Gebäudes geschlossenen Wohngebäude-Vielschutz-Versicherungsvertrag (Vers.-Nr. 40504130179/1P) zu gewähren und die vertraglich vorgesehenen Versicherungsleistungen zu erbringen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung hat Erfolg. Die Beklagte hat den Klägern Versicherungsschutz für den im Tenor näher bezeichneten Leitungswasserschaden zu gewähren.
1. Mit Recht hat das LG die Zulässigkeit der Feststellungsklage bejaht. Nach § 17 Nr. 1 S. 3 VGB 62, die dem Versicherungsverhältnis zugrunde liegen, kann der Versicherungsnehmer verlangen, dass die Höhe des Schadens im Rahmen eines Sachverständigenverfahrens festgestellt wird. In einem solchen Fall greift der Grundsatz nicht ein, dass kein rechtliches Interesse an der Feststellung eines Rechtsverhältnisses besteht, wenn eine Leistungsklage möglich ist (BGH VersR 1966, 673; Römer in Römer/Langheid, VVG, § 64 Rz. 31). Dass den Klägern, die ihren Anspruch auf Versicherungsleistungen aus abgetretenem Recht herleiten, das Sachverständigenverfahren nicht offen steht, hat die Beklagte nicht geltend gemacht.
2. Der Eintritt des Versicherungsfalls steht außer Streit. Bereits das LG hat den vom Sachverständigen R. festgestellten Schaden als Versicherungsfall im Rahmen der Gebäudeversicherung gewertet. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Von der dadurch begründeten Leistungspflicht, die aufgrund des unstreitigen Anspruchsübergangs zugunsten der Kläger besteht, ist sie – entgegen der Auffassung des LG – nicht befreit.
3. Die Beklagte ist nicht leistungsfrei, weil die Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen die aus § 9 Nr. 2b) VGB 62 folgende Sicherheitsvorschrift, Wasserleitungen in nicht benutzten Gebäuden abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten, verstoßen hätten.
Ungeachtet der Entscheidung des BGH vom 3.12.1975 (BGH v. 3.12.1975, VersR 1976, 134), der das LG gefolgt ist, gehen die Instanzgerichte und die Literatur mehrheitlich davon aus, dass der Versicherungsnehmer der zitierten Sicherheitsvorschrift schon dadurch genügt, dass er leerstehende Gebäude während der kalten Jahreszeit ausreichend beheizt (OLG Celle v. 15.4.1983 – 8 U 189/82, VersR 1984, 437 [438]; OLG Köln v. 28.6.1984 – 5 U 257/83, VersR 1986, 675; OLG Frankfurt v. 7.1.1987 – 17 U 27/86, NJW-RR 1987, 611; Kollhosser in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 9 VGB 62 Rz. 2; Martin, Sachversicherungsrecht, M I Rz. 81; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., IX Rz. 34; a.A. OLG Stuttgart v. 25.4.1989 – 10 U 137/88, VersR 1989, 958). Wenngleich der mittlerweile herrschenden Meinung zuzugestehen ist, dass der Begriff „unbenutzt” relativ unbestimmt ist (vgl. OLG Celle v. 15.4.1983 – 8 U 189/82, VersR 1984, 437 [438]), bleibt aber fraglich, ob der durchschnittliche Versicherungsnehmer, auf dessen Sichtweise bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen stets abzustellen ist (st. Rspr., zuletzt BGH r + s 2000, 478 [479]; VersR 2001, 227 [288]), die Klausel wirklich dahingehend versteht, dass „unbenutzt” und „unbeheizt” gleichbedeutend sind. Deshalb liegt es aus Sicht des Senats näher, die Sicherheitsbestimmung wörtlich zu nehmen und in dem Sinn auszulegen, dass dadurch nicht nur Frostauswirkungen, sondern auch Schäden durch Vandalismus oder Materialermüdung, die durch Beheizung nicht zu vermeiden sind, vorgebeugt werden soll.
Das kann im Streitfall jedoch dahinstehen, weil ein grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Fehlverhalten ...