Leitsatz (amtlich)

1. Eine refraktive Operation kann auch als medizinisch notwendig anzusehen sein, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, die Fehlsichtigkeit des Versicherungsnehmers durch eine Brille oder Kontaktlinsen zu kompensieren, weil Brillen und Kontaktlinsen lediglich Hilfsmittel sind, mit denen körperliche Defekte über einen längeren Zeitraum ausgeglichen werden, ohne die Funktionsfähigkeit des Auges wiederherzustellen (im Anschluss an BGH, Urteil vom 29.03.2017 - IV ZR 533/15 - ).

2. Das Erfordernis der Niederlassung iSv § 4 Abs. 2 MB/KK 2009 ist auch als erfüllt anzusehen, wenn die Behandlung durch approbierte Ärzte stattfindet, die sich in einer Ärztegesellschaft zusammengeschlossen haben, und zwar auch dann, wenn der Zusammenschluss in der Rechtsform einer juristischen Person erfolgt ist. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Geschäftsführer der Gesellschaft mehrheitlich Ärzte sind und die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und der Stimmrechte Ärzten zustehen.

 

Verfahrensgang

LG Duisburg (Aktenzeichen 1 O 175/17)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 08.12.2017 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Duisburg teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.035,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2017 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte zu 79 % und der Kläger zu 21 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung iHv 6.100,00 EUR abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist.

Berufungsstreitwert: 5.110,00 EUR

 

Gründe

I. Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherungen (AVB/VT), Stand: 01.01.2009, V660 (GA 132; im Folgenden: AVB/VT) zugrunde liegen. Er nimmt die Beklagte auf die Erstattung von Kosten für eine in der C. Klinik, O, einer konzessionierten Klinik nach § 30 GewO, beidseitig ambulant durchgeführte refraktive Operation mit clear lens exchange in Anspruch.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.110,00 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2017 zu zahlen

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die medizinische Notwendigkeit der Eingriffe bestritten und sich darauf berufen, dass die Operationen weder durch einen niedergelassenen Arzt iSv § 4 I. (2) AVB/VT noch in einem Krankenhaus iSv § 4 I. (4) AVB/VT durchgeführt worden seien. Im Übrigen hat sie die Rechnungen der C. Klinik GmbH beanstandet, soweit darin mehr als 2,3fache Gebührensätze berechnet worden sind.

Die 4. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichtes Duisburg hat die Klage durch das am 08.12.2017 verkündete Urteil (GA 85 - 93) abgewiesen, weil der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, zum Ausgleich seiner Sehfehler Kontaktlinsen oder eine Brille zu tragen, und seinem Vorbringen auch nicht zuverlässig zu entnehmen sei, dass für ihn das Tragen von Kontaktlinsen oder einer Brille nicht in Betracht komme. Medizinisch notwendig sei eine Behandlung nämlich nur dann, wenn ihr Aufwand nicht gänzlich außer Verhältnis zu dem damit erstrebten Erfolg stehe.

Dagegen wendet der Kläger sich mit seiner Berufung, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt. Er rügt, dass der Einzelrichter sich über die Rechtsprechung des BGH zur medizinischen Notwendigkeit einer LASIK-Operation hinweggesetzt habe.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und bittet um Zurückweisung der Berufung.

Der Senat hat auf der Grundlage des Beweisbeschlusses vom 06.11.2018 (GA 174) ein medizinisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. (GA 203) eingeholt.

II. Die Berufung hat überwiegend Erfolg.

Der Kläger kann von der Beklagten aufgrund der bei ihr unterhaltenen privaten Krankenversicherung Erstattung von ärztlichen Behandlungskosten iHv 4.035,88 EUR verlangen.

1. Die beim Kläger durchgeführten operativen Eingriffe waren iSv § 1 I. (2) AVB/VT, der § 1 (2) MB/KK 2009 entspricht, medizinisch notwendig.

Zu Unrecht hat das Landgericht den Kläger darauf verwiesen, seine Sehschwäche durch das Tragen von Kontaktlinsen oder einer Brille zu kompensieren. Der Kläger rügt mit Recht, dass der Einzelrichter das von ihm in Bezug genommene Urteil des BGH zur Erstattungsfähigkeit der Kosten einer LASIK-Operation an den Augen (Urteil vom 29.03.2017 - IV ZR 533/15 - Rn. 23 - 25) ignoriert habe. Nach dieser Entscheidung, der sich der erkennende Senat anschließt, gilt:

Das Tragen einer Sehhilfe stellt in Bezug auf die Fehlsichtigkeit der Klägerin keine Heilbehandlung dar. Brillen und Kontaktlinsen sind lediglich Hilfsmittel, mit denen körperliche Defekt...

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