Leitsatz (amtlich)
1. Eine Teilvollstreckungserklärung der Strafe wegen rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung darf bei einer wegen schädlicher Neigungen verhängten Jugendstrafe erfolgen, wenn die Gefahr der Unterschreitung der zur Erziehung des Jugendlichen erforderliche Strafdauer auszuschließen ist
2. Ist die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe gem. § 27 JGG zur Bewährung ausgesetzt, kann über eine Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer durch eine Teilvollstreckungserklärung erst im Nachverfahren ( § 30 Abs. 1 JGG ) entschieden werden.
Normenkette
StPO § 349 Abs. 4, 2
Verfahrensgang
AG Kempen (Entscheidung vom 20.05.2009; Aktenzeichen 5 Ss 200/09) |
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass das angefochtene Urteil
1.
hinsichtlich des Angeklagten T.... dahin ergänzt wird, dass eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von 7 Monaten festgestellt wird
und ( § 349 Abs. 4 StPO )
2.
hinsichtlich des Angeklagten S.... ein Monat der verhängten Jugendstrafe als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt.
Von der Auferlegung von Kosten und Auslagen wird abgesehen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - hatte die Angeklagten durch Urteil vom 16. April 2008 zu einer Jugendstrafe von jeweils 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Es hatte den Angeklagten T.... für schuldig befunden der Beihilfe zum Raub, der Unterschlagung, des Wohnungseinbruchsdiebstahls in 8 Fällen, davon in einem Fall des Versuchs, des besonders schweren Diebstahls in 7 Fällen, davon in einem Fall des Versuchs, der Sachbeschädigung und der gefährlichen Körperverletzung. Den Angeklagten Steingens hatte es für schuldig erachtet der Unterschlagung in zwei Fällen, des Wohnungseinbruchsdiebstahls in 6 Fällen, davon in einem Fall des Versuchs, des besonders schweren Diebstahls in weiteren 6 Fällen, davon in einem Fall des Versuchs, der gefährlichen Körperverletzung und der Körperverletzung in einem weiteren Fall. Auf die Revision der Angeklagten beschränkte der Senat durch Beschluss vom 21. Oktober 2008 die Strafverfolgung hinsichtlich der tateinheitlich mit den ausgeurteilten Fällen des Diebstahls gemäß §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB verwirklichten Vergehen der Sachbeschädigung nach §§ 303, 303c StGB gemäß § 154a Abs. 2 StPO und hob das angefochtene Urteil im Schuldspruch auf, soweit der Angeklagte T.... wegen Beihilfe zum Raub und beide Angeklagte wegen Unterschlagung (Tat vom 25. Februar 2006), Wohnungseinbruchsdiebstahls (Tat vom 10. Dezember 2006) und wegen gefährlicher Körperverletzung (Tat vom 27. Mai 2007) verurteilt worden waren. Des Weiteren erfolgte ein Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch. Die Sache wurde im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Im Übrigen verwarf der Senat die Revisionen der Angeklagten.
Nach Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Kempen, stellte dieses das Verfahren gegen den Angeklagten T.... wegen Beihilfe zum Raub sowie die Verfahren gegen die beiden Angeklagten wegen Unterschlagung (Tat vom 25. Februar 2006) und gefährlicher Körperverletzung nach § 154 Abs. 2 StPO ein und verurteilte den Angeklagten S.... durch das angefochtene Urteil wegen Unterschlagung, Wohnungseinbruchdiebstahls in 6 Fällen, davon in einem Fall des Versuches, Diebstahls in 5 Fällen, davon in einem Fall des Versuches und Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von je 2 Jahren und 4 Monaten unter Einbeziehung einer Jugendstrafe von 10 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Kempen vom 14. Januar 2009 (22 Ds 10 Js 949/07 - 279/07). Es stellte zudem fest, dass der Angeklagte T.... sich des Wohnungseinbruchsdiebstahls in 8 Fällen, davon einem Fall des Versuchs, des Diebstahls in 7 Fällen, davon ein einem Fall des Versuches und der Sachbeschädigung schuldig gemacht hat. Die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe hat es für die Dauer von 2 Jahren zur Bewährung ausgesetzt.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts richten sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Sprungrevisionen der Angeklagten.
A. Revision des Angeklagten S.
I. Rüge der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG
1.
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge führt zu dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg. Mit Recht rügt der Angeklagte die Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Die Revision hat eingehend dargelegt und bewiesen, dass das Verfahren durch die Justizbehörden nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben worden ist. Darüber hinaus ist es auch im vorliegenden Revisionsverfahren zu vermeidbaren Verzögerungen gekommen.
2.
a)
Ob eine Verfahrensdauer noch angemessen ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Bei der Prüfung, ob eine Strafsache insgesamt in angemessener Frist i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verhandelt worden ist, sind neben der gesamten Dauer von dem Zeitpunkt an, zu dem der Beschuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wird, bis zum rechtskräftigen Abschluss ...