Leitsatz (amtlich)
Der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden gilt nicht für Straßenbahnen.
Normenkette
StVO § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 02.02.2017; Aktenzeichen 11 O 329/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 11. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Düsseldorf vom 02. Februar 2017 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 19.050,70 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.09.2015 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 77 % und die Klägerin zu 23 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin als Betreiberin des Straßenbahnzuges der Linie verlangt von der Beklagten zu 1. als Fahrerin und Halterin des Kfz der Marke V. P. sowie von der Beklagten zu 2. als Haftpflichtversichererin Ersatz ihres Sachschadens aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 12.09.2014 auf der Höhe der Lichtstraße Nr. 31 in Richtung Flurstraße ereignete.
Damals war der Zeuge P. mit der Straßenbahn der Linie 709 auf der Lichtstraße in Richtung Flingern unterwegs. Vor der Kreuzung Cranachstraße musste er zunächst vor einer roten Ampel warten. Der Zeuge L. befuhr zur gleichen Zeit die Cranachstraße mit einem LKW der Fa. D. und bog vor der Straßenbahn nach links in die Lichtstraße ein. Als die Ampel die Fahrt freigab, fuhr der Zeuge P. mit der Straßenbahn an, überquerte die Kreuzung und folgte dem Lkw des Zeugen L.. Als dieser unmittelbar darauf den Lkw abrupt abgebremste, leitete der Zeuge P. eine Notbremsung ein, konnte den Aufprall auf den Lkw aber nicht mehr vermeiden.
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte zu 1) sei für die von dem Zeugen L. eingeleitete Vollbremsung verantwortlich gewesen. Denn sie sei mit ihrem bei der Beklagten zu 2) versicherten V. P. plötzlich von einem rechts der Lichtstraße gelegenen Parkstreifen auf die Fahrbahn aufgefahren, ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten.
Die Klägerin hat ihren Schaden wie folgt beziffert:
Reparaturkosten des Straßenbahnzugs netto 20.442, 63 EUR
Gutachterkosten. Netto 1.809,85 EUR
Reservehaltung 23 Tagge a 571 EUR = 13.133,00 EUR
Kopierkosten (Ermittlungsakte) 55,55 EUR
Kosten für den Einsatz der Verkehrsaufsicht 88,15 EUR
Auslagenpauschale 25,00 EUR
Summe 35.554,18 EUR
Sie meint, 70% von dieser Summe beanspruchen zu können, und hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zur verurteilen, an sie 24.887,93 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.04.2015 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben behauptet, die Beklagte zu 1) sei - kurz vor dem Unfallereignis - in eine an die Lichtstraße angrenzende Parkbucht vorwärts eingefahren. Da sie danach noch leicht schräg gestanden habe, habe sie ihr Fahrzeug aus der Parkbucht herausgefahren, um anschließend rückwärts einzuparken. Durch einen Blick in den linken Außenspiegel sowie einen Schulterblick habe sie sich vergewissert, dass sich von hinten kein weiterer Verkehr genähert habe. Hierbei habe sie die Straßenbahn der Klägerin zwar in einiger Entfernung gesehen, jedoch auch erkannt, dass diese noch gestanden habe. Sie habe den Blinker gesetzt und sei auf die Fahrbahn gefahren. Als sie gerade dazu angesetzt hatte, rückwärts in die Parklücke wieder einzufahren, habe sie bemerkt, dass der vor dem Zeugen L. geführte Lkw hinter ihr plötzlich zum Stillstand gelangt sei. Die Beklagten meinen, dass der Unfall vor allem auf die Unaufmerksamkeit des Zeugen L. sowie auf das Fehlverhalten des Zeugen P. zurückzuführen sei. Im Übrigen sei der geltend gemachte Schaden auch der Höhe nach zum Teil unbegründet. So seien die Kosten für den Ermittlungsaktenauszug nicht erstattungsfähig und die Reservehaltung seien nicht nachvollziehbar berechnet.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen P., L., D. und S.. Zudem hat es die Beklagte zu 1. gegen die Klägerin der Beweis des ersten Anscheins spreche. Die Klägerin habe nicht beweisen können, dass die Beklagte zu 1. unvermittelt vor dem Lkw des Zeugen L. aus der Parklücke herausgefahren sei. Es sei auch möglich, dass der Zeuge L. das bereits vor ihm stehende Fahrzeug einfach zu spät wahrgenommen habe. Die Vernehmung der Zeugen D., P. und S. sei diesbezüglich nicht ergiebig gewesen. Soweit sich die Angaben des Zeugen L. und der Beklagten zu 1. gegenüberstünden, seien beide Angaben gleichermaßen plausibel. Auch Glaubwürdigkeitsaspekte führten zu keiner anderen Bewertung. Zudem habe der Zeuge L. als Unfallbeteiligter ebenso ein Eigeninteresse an dem Ausgang des Verfahrens wie die Beklagte zu 1.
Mit ihrer Berufung, mit der die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel in vollem Umfang weiterverfolgt, rügt sie die Beweiswürdigung des Landgerichts. Jedenfalls sei der Anscheinsbewe...