Leitsatz (amtlich)
›1. Einer Klage auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes steht die Rechtskraft des Urteils eines Vorprozesses entgegen, wenn bereits der damaligen Schmerzensgeldforderung andauernde Hörschäden und Kopfschmerzen zugrunde lagen, auf deren Fortbestehen auch der jetzige Anspruch gestützt wird.
2. Schadenersatzansprüche wegen eines bleibenden Gehörschadens durch eine Ohrfeige, die ein 15-jähriger Schüler einer Mitschülerin während einer Freistunde im Spielkeller der Schule versetzt hat, sind gemäß §§ 637, 636 RVO ausgeschlossen, es sei denn, der Schüler hat die Verletzungsfolgen zumindest billigend in Kauf genommen.‹
Gründe
Die Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
Soweit die Klägerin Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes und einer Schmerzensgeldrente begehrt, ist die Klage entgegen der Ansicht des Landgerichts aber nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abzuweisen.
I. Zulässigkeit der Klage
1.) Unstreitig hat die Klägerin bereits im Jahre 1991 in dem Verfahren 11 C 160/91 AG Mülheim/Ruhr Schmerzensgeldansprüche wegen der vom dem Beklagten ihr am 14.Mai 1990 zugefügten Verletzungen geltend gemacht. Der Streitgegenstand des damaligen Verfahrens stimmt insoweit mit dem des vorliegenden Rechtsstreits überein, so daß das rechtskräftige amtsgerichtliche Urteil der erneuten Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen entgegensteht ("ne bis in idem").
In den Fällen, in denen der Streitgegenstand des zweiten Rechtsstreits mit dem des ersten identisch ist, stellt die Rechtskraft eine negative Prozeßvoraussetzung dar, welche das neue Verfahren und eine Entscheidung darin unzulässig macht (vgl. Zöller, ZPO, 18.Aufl.1993, Vor § 322 Rdn.19 m.w.N.). Zur Bestimmung des Streitgegenstandes müssen die Urteilsformel, Tatbestand und Entscheidungsgründe sowie das dort in Bezug genommenem Parteivorbringen herangezogen werden (vgl. BGH NJW 1988, 2300, 2301; BGH NJW 1981, 2306; Zöller, aaO. Rdn. 31). Grundsätzlich ist zwar ein obsiegender Kläger nicht gehindert, Ansprüche der gleichen Art aus demselben Sachverhalt zu erheben (vgl. Zöller, aaO. Rdn. 47 m.w.N.), etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Kläger den Eindruck erweckt hat, es handele sich um die einmalige Geltendmachung eines Gesamtanspruches (vgl. Zöller, aaO. Rdn. 48 m.w. N.).
Bei Schmerzensgeldklagen folgt daraus, daß nicht mit der Begründung, die eingetretenen Verletzungsfolgen seien nicht zutreffend gewürdigt worden, eine "Nachforderungsklage" erhoben werden kann, sondern vielmehr dieses Ziel durch Einlegung eines Rechtsmittels im ersten Verfahren verfolgt werden muß (Zöller, aaO. Rdn. 49 m.w.N.). Andererseits steht die Rechtskraft des ersten Urteiles dann einer neuen Klage auf ein weiteres Schmerzensgeld nicht entgegen, wenn Verletzungsfolgen geltend gemacht werden, die bei der ursprünglichen Bemessung noch nicht eingetreten waren oder mit deren Eintritt nicht oder nicht ernstlich zu rechnen war (vgl. BGH NJW 1976, 1149; BGH NJW 1988, 2300, 2301; BGH NJW 1980, 2754; Zöller, aaO. Rdn. 49, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Frage, ob und welche im Vorprozeß bereits vorliegenden Verletzungsfolgen aufgrund des dort zur Entscheidung gestellten Sachverhalts zu erkennen und damit grundsätzlich einschließlich ihrer naheliegenden künftigen Auswirkungen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen waren, ist objektiv, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen, zu beantworten (vgl. BGH NJW 1988, 2300, 2301; BGH NJW 1980, 2754).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist ein solcher Ausnahmefall aber nicht gegeben.
Die Klägerin begehrt im vorliegenden (Berufungs-)Verfahren Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes, einer monatlichen Schmerzensgeldrente sowie die Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtlichen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, den sie aufgrund der tätlichen Auseinandersetzung vom 14.Mai 1990 erlitten hat und noch erleiden wird, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Sie hat die Klage damit begründet, daß seit Mai 1990 das Ohrengeräusch nicht abgeheilt sei, sondern als Folge des Knalltraumas fortbestanden und sich sogar noch verschlimmert habe und sie zeitlebens darunter leiden werde. Ferner hat sie vermutet, daß auch wiederkehrende linksseitige Kopfschmerzen von der Ohrverletzung ausgingen. Des weiteren würden sich die Ohrgeräusche und Kopfschmerzen wahrscheinlich noch verschlimmern, die bereits jetzt zu ständigen Schlafstörungen, Nervosität usw. führten.
Eben diese Verletzungen und Verletzungsfolgen waren aber bereits Gegenstand des Vorprozesses. In dem Verfahren 11 C 160/91 AG Mülheim/Ruhr hat die Klägerin bereits mit der Klageschrift vom 5.März 1991, d.h. knapp 10 Monate nach der Tätlichkeit, vorgetragen, daß das linksseitige Ohrgeräusch fortdauere. Mit Schriftsatz vom 8.Juni 1991, d. h. mehr als 13 Monate später, hat sie ferner angekündigt, sie müsse wahrscheinlich das Klinikum in Essen aufsuchen, "da sie nach wie vor erhebliche Hörs...