Leitsatz (amtlich)
1. Wenn eine gesetzliche Krankenkasse zwecks Erfüllung ihrer Sachleistungspflicht ggü. ihren Versicherten zur Deckung eines fälligen oder demnächst fälligen Bedarfs an Waren (hier: Beschaffung wiederverwendbarer Hilfsmittel) oder Dienstleistungen entschlossen ist und der Auftragswert den hierfür maßgeblichen Schwellenwert erreicht, ist sie gem. den §§ 97 ff. GWB rechtlich verpflichtet, den Auftrag in einem Vergabeverfahren zu erteilen. Gesetzliche Krankenkassen sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 98 Nr. 2 GWB. Die von ihnen zur Beschaffung von Waren oder Leistungen im Rahmen ihrer Aufgaben erteilten Aufträge sind öffentliche Aufträge gem. § 99 GWB.
2. Die Anwendung der §§ 97 ff. GWB ist durch Bestimmungen des SGB V nicht abbedungen. Eine Auftragsvergabe in vernünftig ausgestalteten, den Besonderheiten des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung Rechnung tragenden Vergabeverfahren, die in einem vorher bestimmten und angemessenen zeitlichen Rhythmus wiederholt werden, bei denen ferner sichergestellt ist, dass sich alle in Betracht kommenden Leistungserbringer hieran beteiligen können, und die losweise Vergaben sowie ggf. auch geographische Unterteilungen in bestimmte Leistungsbezirke vorsehen, erfolgt im Wettbewerb und widerspricht nicht dem SGB V. Ein solches Vergabeverfahren verstößt insb. nicht gegen den Grundsatz der Auswahlfreiheit der Versicherten und gegen das Gebot der Beachtung der Vielfalt der Leistungserbringer.
3. Eine einzelne gesetzliche Krankenkasse kann als Nachfragerin von Waren oder Dienstleistungen nicht allein deshalb als marktbeherrschend behandelt werden, weil sie ein Teil des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Eine einzelne gesetzliche Krankenkasse bildet mit den übrigen gesetzlichen Krankenkassen auch kein als solches marktbeherrschendes Oligopol.
Normenkette
GWB § 19 Abs. 2, § 98 Nr. 2, § 99; SGB V § 2 Abs. 3 S. 1, § 12 Abs. 1, § 126 Abs. 1 S. 2, § 127 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, § 128; SGB I § 33
Verfahrensgang
LG Dortmund (Entscheidung vom 23.08.2000; Aktenzeichen 13 O 107/99) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufungen der Klägerinnen das am 23.8.2000 verkündete Urteil der II. Kammer für Handelssachen des LG Dortmund teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen werden den Klägerinnen auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jedoch können die Klägerinnen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 7.000 Euro abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe erbringt. Die Sicherheiten können durch Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts erbracht werden.
Tatbestand
Die klagenden Innungen für Orthopädietechnik, denen im Bundesland NRW etwa 400 Handwerksbetriebe, die über Zulassungen als Leistungserbringer von Hilfsmitteln nach § 126 Abs. 1 SGB V verfügen, als Mitglieder angehören, greifen mit der Klage eine Ausschreibungs- und Vergabepraxis der Beklagten an, die einer Beschaffung (wiederverwendbarer und nicht „preisvereinbarter”) orthopädischer Hilfsmittel zu einem Preis von mehr als 400 DM (einschl. MwSt. = mehr als 204,52 Euro) für ihre Versicherten gilt. Die Beklagte führt die knappschaftliche Krankenversicherung durch.
Zwischen den Klägerinnen, Landesverbänden gesetzlicher Krankenkassen, einzelnen gesetzlichen Krankenkassen und der Beklagten bestand (gem. § 127 SGB V) der Rahmenvertrag vom 10.11.1993, dessen Gegenstand (§ 1) u.a. die Herstellung, Abgabe und Anpassung von orthopädischen Hilfsmitteln durch Mitgliedsbetriebe der Klägerinnen an die Versicherten und die Vergütung war (GA 13 ff.). Schon 1994 schrieb die Beklagte eine Belieferung mit den genannten Hilfsmitteln räumlich begrenzt aus und erteilte einem bestimmten Unternehmen der Orthopädietechnik den Auftrag zur ausschließlichen Versorgung ihrer Versicherten mit diesen Hilfsmitteln. Die Klägerinnen erhoben damals vor dem Sozialgericht Düsseldorf Klage gegen die Beklagte, auf die das Gericht (rechtskräftig) feststellte, dass die gem. § 126 SGB V an Mitgliedsbetriebe der Klägerinnen erteilten Zulassungen die Anschaffung und Reparatur von wiederverwendbaren Hilfsmitteln mit einem Preis von mehr als 400 DM umfassten, die zugelassenen Mitglieder der Klägerinnen zur Versorgung der Versicherten der Beklagten mit den genannten Hilfsmitteln also berechtigt seien (SG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.1996 – S 24 Kn 45/94; vgl. GA 29 ff.). 1998 führte die Beklagte erneut eine Ausschreibung betreffend die Belieferung ihrer Versicherten mit wiederverwendbaren Hilfsmitteln zu einem Preis von mehr als 400 DM (einschl. MwSt.) durch und schloss mit bestimmten Leistungserbringern einen (auf 2 Jahre) befristeten Versorgungsvertrag ab. Sie kündigte den mit den Klägerinnen bestehenden Rahmenvertrag vom 10.11.1993 zum 31.12.1999. Die Parteien stritten über die Wirksamkeit dieser Kündig...