Entscheidungsstichwort (Thema)
Kosten einer für ein Kind erforderlichen Nachhilfe. Abgrenzung Mehrbedarf/Sonderbedarf
Leitsatz (amtlich)
1. Lässt sich absehen, dass eine für das Kind erforderliche Nachhilfe über einen längeren Zeitraum regelmäßig anfallen wird, handelt es sich nicht um Sonderbedarf, sondern um regelmäßigen Mehrbedarf, der nur unter den Voraussetzungen des § 1613 BGB rückwirkend geltend gemacht werden kann.
2. Über die konkrete Form der Nachhilfe kann der betreuende Elternteil bei gemeinsamer Sorge allein entscheiden, auch wenn sie nicht unerhebliche Kosten verursacht.
3. Am Mehrbedarf hat sich auch der betreuende Elternteil zu beteiligen und - wenn Kindesunterhalt ab Einkommensgruppe 6 aufwärts der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen ist - auch das Kind in Form der anteiligen Verrechnung mit dem regelmäßigen Kindesunterhalt.
Normenkette
BGB §§ 1601-1602, 1606 Abs. 3 S. 2, § 1613 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 1687 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
AG Geldern (Urteil vom 20.12.2004; Aktenzeichen 19 F 203/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des AG - FamG - Geldern vom 20.12.2004 unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.167 EUR zu zahlen. Die weiter gehende Klage wird abgewiesen, soweit sie nicht durch den Teilvergleich vom 8.11.2004 erledigt ist.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien sind getrenntlebende Ehegatten. Sie haben zwei Söhne, Leon (geb. 10.9.1990) und Niklas (geb. 31.7.1992). Es besteht die gemeinsame elterliche Sorge.
Nachdem die Parteien sich vor dem AG durch Teilvergleich über laufenden und rückständigen Kindesunterhalt sowie Trennungsunterhalt geeinigt haben, streiten sie in der Berufungsinstanz nur noch darüber, ob der Beklagte zwei weitere Positionen des Kindesunterhalts zu übernehmen verpflichtet ist, namentlich
- die hälftigen Kosten eines Zeltlagers für beide Söhne
- Nachhilfekosten für den jüngeren Sohn Niklas (Juli 2004 bis einschließlich Juli 2005).
Das AG hat die Klage mit einer Begründung von einem S. (Kommentarzitat) abgewiesen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie - nach eingeschränkter Prozesskostenhilfe-Bewilligung durch den Senat - nunmehr noch die Zahlung von 1.401 EUR beantragt. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Streitpunkte sind zwischen den Parteien:
- hinsichtlich des Zeltlagers: Die hälftige Beteiligung ist hier vereinbart worden, der Beklagte hat allerdings die Aufrechnung ("Verrechnung") mit einer Gegenforderung gegen die Klägerin erklärt.
- hinsichtlich der Nachhilfekosten: Der Beklagte ist mit den Nachhilfekosten von mtl. 132 EUR für eine professionelle Nachhilfe in Englisch nicht einverstanden. Er meint, seine heutige Lebensgefährtin oder er selbst hätten dies aufgrund entsprechender Vorbildung ebensogut und kostenlos erledigen können. Er sei vor der Entscheidung nicht gefragt worden.
II. Die Berufung ist nach eingeschränkter Prozesskostenhilfe-Bewilligung überwiegend begründet. Allerdings ist ggü. dem PKH-Beschluss des Senats noch ein Rechenfehler zu korrigieren, der zu einem geringeren Anspruch führt. Der Beklagte schuldet die anteiligen Kosten des Zeltlagers wie auch (ebenfalls anteilig) weiteren Unterhalt wegen des durch den Nachhilfeunterricht entstandenen Mehrbedarfs gem. §§ 1601, 1602 BGB.
1. Die Beteiligung des Beklagten an den Kosten des Zeltlagers haben die Parteien unstreitig vereinbart. Der Vortrag des Beklagten, seiner Erklärung habe der Rechtsbindungswille gefehlt, ist nicht recht nachzuvollziehen. Eine Aufrechnung scheitert schon an der fehlenden Gegenseitigkeit der Forderungen.
2. Bei den Kosten der Nachhilfe handelt es sich um angemessenen Kindesunterhalt, der vom Beklagten zwar nicht als Sonderbedarf, aber als regelmäßiger Mehrbedarf mitzutragen ist.
a) Entgegen der Auffassung des Beklagten konnte die Klägerin auch ohne sein Einverständnis Niklas zur Nachhilfe beim Nachhilfezentrum Geldern anmelden (vgl. § 1612 Abs. 2 S. 3 BGB). Bei der Nachhilfe handelt es sich um eine Angelegenheit des täglichen Lebens, über die der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, nach § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge allein entscheiden kann (Schwab, FamRZ 1998, 457 [469]; Anwaltkommentar/Peschel/Gutzeit, § 1687 Rz. 14; Bamberger/Roth/Veit, § 1687 Rz. 12).
b) Auch wenn die Kosten von monatlich 132 EUR nicht unerheblich sind, stehen sie nicht außer Verhältnis zum Nutzen der Maßnahme. Das gilt erst recht, weil der Beklagte bei der gegebenen Sachlage nicht für die gesamten Kosten aufzukommen hat, sondern ein Teil dem regelmäßigen Kindesunterhalt zu entnehmen ist und ein weiterer Teil von der Klägerin zu tragen ist. Dadurch, dass die Klägerin nicht auf die vom Beklagten angebotene Hilfe zurückgegriffen hat, hat sie nicht ohne weiteres sachwidrig gehandelt, schon weil die professionelle Nachhilfe erfahrungsgemäß effektiver ist...